Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.
Was hat das Ahrtal mit der Ukraine zu tun? Beide befinden sich im Ausnahmezustand, kämpfen im Alltag um ein Minimum von Normalität – was im Fall der Ahr, wo die Flutkatastrophe über ein Jahr zurückliegt, genauso unfaßbar ist wie beim andauernden Krieg in unserem Beinahe-Nachbarland.
Was hat das wiederum mit Riesling und Spätburgunder zu tun? Zuerst und grundsätzlich: wie auf dem Höhepunkt der Coronazeit finde ich persönlich das alles ohne Wein schwer zu ertragen (andere drehen sich lieber einen dicken Joint – auch gut, aber nicht mein Ding). Und: der 2019 Spätburgunder Hand in Hand kommt indirekt aus dem Ahrtal.
Markus Klumpp (Bruchsal im Kraichgau) und Meike Näkel (Dernau an der Ahr) machen unter diesem Label seit langem gemeinsame Weine, deren Trauben in Baden wachsen, aber einen deutlich anderen Stil zeigen als die Abfüllungen ihrer jeweiligen eigenen Weingüter. Dieser Rotwein duftet und schmeckt nach getrockneten dunklen Beeren, wirkt rund und zugänglich und überrascht dann ganz zum Schluß mit einer feinen, frischen herben Note wie beste, dunkelste Schokolade. Herbststoff vom Feinsten. „Seit wir uns 2003 kennengelernt haben, wollten wir auch zusammen Wein machen, aber ohne Herzchen-Etikett,“ sagt Markus Klumpp. „Die Ahr ist längst meine zweite Heimat, und es gibt da noch soviel zu tun nach der Flutwelle.“
Hand in Hand ist so oder so ein gutes Motto. Vor einer Weile, als wir noch dachten und hofften, unser Beinahe-Nachbarland würde bald wieder zum Normal-Alltag zurückkehren, brachte mir eine ukrainische Freundin ein Buch über ihre Heimat mit.
Ukraїner ist ein multimediales, ehrenamtliches Bildungsprojekt, das 2016 von dem Journalisten und Schriftsteller Bohdan Logvynenko gegründet wurde. Er möchte Geschichten aus allen Ecken der Ukraine erzählen, vor allem für die Ukrainer selbst. „Auf diese Weise streben wir nach dem Überdenken von historischen Eigentümlichkeiten und dem Kulturcode unseres eigenen Landes, dessen ethnografischen, geographischen und anthropologischen Eigenartigkeiten.“ Die Schönheit und ausgedehnte Vielseitigkeit des Landes kommt auf den Bildern zum Ausdruck, aber auch die alltägliche Wirklichkeit des Lebens dort, vor dem Krieg. Die Menschen wirken unverstellt, ohne MakeUp oder Skript.
Beim Durchblättern und Lesen ist mir extrem bewußt geworden, was mich an so vielen Publikationen und auf Social Media immer mehr stört: die Diktatur des Schönen, Eleganten, Stilvollen. **** (setzt ein kräftiges, stark fluchendes Wort Eurer Wahl ein) nochmal!! Das Leben ist kein Hochglanzmagazin. Die Wirklichkeit ist so oft häßlich, schmutzig, laut und unbequem – und die wirklich schönen Momente entstehen in diesem Kontext, sehen komplett anders aus als auf Instagram. Menschen haben Falten, tragen einfache Klamotten statt Designerstücken, leben und arbeiten nicht im MOMA.
Oder auch ganz einfach ausgedrückt: ich mag die Pflanzen auf meinem Balkon trotz so manchem braunen Blatt, Mehltau und irgendwelchen Kleinsttieren.
Zurück zum Wein (Ihr merkt, ich brauche den wirklich, sonst wäre ich ständig auf 180). Riesling. Weil der Herbst sich erst so sachte ankündigt, und all das wunderbare Gemüse begleitet werden möchte. Und weil sich ein bißchen Himmelreich eben überall finden läßt: der 2019 Riesling aus der Lage Himmelreich von Markus Klumpp ist ganz trocken und doch voller saftiger, sonnenwarmer gelbgrüner Frucht. Für all die Momente, in denen einem die Fähigkeit, das Schöne im Normalen zu sehen, abhanden zu kommen droht. Danke, daß Ihr dies lest.
Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedicht- oder Musikform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein und Worten begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: die Weine gibt es hier. Das Buch könnt Ihr hier vorbestellen – ich weiß nicht, wie Elena an mein Exemplar gekommen ist. Lesen, trinken und schmecken, denken und das Schöne und Häßliche finden müßt Ihr wie immer selbst.
Dankeschön!