Heinzelwein-Dreier im Mai 2018: Riesling, Carignan – und Rilke

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Es war nicht mehr ganz früh am Abend, und es war nicht die erste Flasche. Ich schenkte zu roten Beten, Schweineleber und Sumac 2008 Riesling Frühlingsplätzchen von Emrich-Schönleber von der Nahe ein. Ein Spontangriff im Keller – müßte jetzt gut sein. War gut, sehr gut. War so gut, daß eine am Tisch spontan sagte: Ich möchte gerne öfter besser trinken… Und so entstand die Idee dieser monatlichen Empfehlungen. Zwei Flaschen, ganz unterschiedlich, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, in Gedichtform – der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat (und Bezugsquellen sind in Google-Zeiten sowieso überflüssig), sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein begegnet mit Euch zu teilen.

Auch die Idee des Gedichts ist nicht auf meinem eigenen Mist gewachsen; wie auf so vieles bin ich darauf in dem wunderbaren Blog von Maria Popova gestoßen, Brainpickings. Sie zitiert die kürzlich verstorbene amerikanische Schriftstellerin Ursula K. Le Guin, die davon überzeugt war, daß „Wissenschaft penibel von außen beschreibt, Lyrik penibel von innen, [und] beide preisen, was sie beschreiben.” Will sagen: wir brauchen beides, die analytischen Zahlen und die manchmal als poetisch geringgeschätzten Worte. Als dann noch einer der Weine mit einem Zitat von Rainer Maria Rilke daher kam, war der Heinzelwein-Dreier endgültig geboren!

Erforschen Sie den Grund, der Sie schreiben heißt; prüfen Sie, ob er in der tiefsten Stelle Ihres Herzens seine Wurzeln ausstreckt…

Das schrieb Rilke 1903 in den Briefen an einen jungen Dichter, als letzterer schwer mit Selbstzweifeln und Anerkennung zu kämpfen hatte. Ich wurde daran erinnert, als ich den 1903 Carignan de Schistes Millésime 2015 von Roc des Anges aus den Côtes Catalanes im Glas hatte und mich über die zwei Jahreszahlen auf dem Etikett wunderte. Und mich an der außergewöhnlichen Kombination von dunkler, tiefer Kirschfrucht und der doch so tannenherben Art erfreute, merkte, wie ich an einem eigentlich schwierigen Abend immer bessere Laune bekam, an getrocknete, duftende Kräuter dachte, und feinste Kakaobohnen, sich begeisterter Höhenflug mit dem soliden Boden der Tatsachen verbinden ließ, Poesie und Realität. Ha. Alte Reben (daher stammt die „1903“ ursprünglich). Im Italienischen gibt es den schönen Begriff des Meditationsweins: perfektes Beispiel. Für die kühleren Mai-Tage.

Für die sommerlichen gibt es Riesling. Trockenen. Vom Mittelrhein, aus Bacharach, da wo der Rhein so aussieht, wie man ihn sich allgemein vorstellt, also romantisch. Winzer sehen das ein kleines bißchen anders, die ziehen nämlich seit Jahrhunderten mit der Hacke in die steilen, felsigen Hänge und umsorgen ihre Reben. Was zu sogenannten Lochsteinen führt, Schieferstücke mit runden Löchern darin. Der Wein im Glas ist hingegen alles andere als löchrig, sondern rank und schlank: 2017 Riesling Kabinett trocken aus der Bacharacher Lage Kloster Fürstental, vom Weingut Dr Kauer. Die Kauers sind seit Anfang der 1980er Öko-Vorreiter und Steillagen-, also Lochstein-Spezialisten. Hier streben die Kirschen zusammen mit Äpfeln himmelwärts, und nehmen dabei auch ein paar Kräuter mit, aber ganz frische, alkoholleichte, säurebelebte, was uns wiederum auch belebt, und ganz wach und leicht werden läßt, Flügel verleiht ohne Sisyphosqualen oder Kopfverdrehen…

Dazu nochmal Rilke:

Voller Apfel, Birne und Banane, Stachelbeere… Alles dieses spricht Tod und Leben in den Mund… Ich ahne… Lest es einem Kind vom Angesicht, wenn es sie erschmeckt. Dies kommt von weit. Wird euch langsam namenlos im Munde? Wo sonst Worte waren, fließen Funde, aus dem Fruchtfleisch überrascht befreit. Wagt zu sagen, was ihr Apfel nennt. Diese Süße, die sich erst verdichtet, um, im Schmecken leise aufgerichtet, klar zu werden, wach und transparent, doppeldeutig, sonnig, erdig, hiesig – : O Erfahrung, Fühlung, Freude -, riesig!

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