Heinzelcheesetalk #57: Vacherin – der Winterkäse aus dem Barrique. Freitag, 16. November 2018

Die Herbstsonne wärmt gerade noch. Die letzten gelben Blätter leuchten. Morgens empfiehlt sich der Griff der Daunenjacke. Die siebte Cheese Berlin war ein Fest. Es wird Winter. Oder ganz kurz: Vacherin-Zeit!

Als erfahrene Heinzelcheesetalker wißt Ihr natürlich, daß es um den runden Käse aus dem Jura geht, eine Autostunde nordwestlich von Lausanne, der nach dem Goldberg, dem Mont d’Or benannt ist. Das Jura-Gebirge gehört wie die Nordschweizer/Allgäuer/Bregenzerwälder Bergkäsewelt zu den Regionen, in denen die nationalen Grenzen nebensächlich sind und die Landschaft viel entscheidender für die große kulturelle (Käse-)Klammer. Trotzdem machen sich die politischen Verhältnisse bemerkbar, denn auf der Schweizer Seite muß die Milch für den Vacherin thermisiert werden, auf der französischen muß sie unbehandelt sein, aber ansonsten wachsen die Fichten hier wie dort, unterbrochen von Bergweiden und einsamen Gehöften mit niedrig gezogenen Dächern. Diese Fichten spielen eine entscheidende Rolle, denn ohne ihre Stütze würde der vollfette, kremige Kerl schlichtweg die Grätsche machen. Da ist nicht nur die Schachtel aus Fichtenspan, sondern auch das Korsett aus Fichtenrinde (genauer gesagt, dem Kambium unmittelbar unter der Borke) – eine Art Käse-Barrique.

Wie sich das detailliert auf den Geschmack auswirkt, welchen Einfluß die Größe des Käses hat, ob man ihn denn nun tatsächlich immer in den Ofen packen und dann auslöffeln muß – und ganz wichtig, wie sich welche Weine dazu verhalten, das alles nahmen wir in diesem Heinzelcheesetalk ganz genau unter die Geschmackslupe.

Um die generell üppigere Art des Vacherin (und seines großen Sommerbruders, dem Gruyère) zu verstehen, begannen wir mit einem anderen Hart/Weich-Paar, nämlich Comté (einem dichten, 30 Monate gereiften, den ich bei Bert & Boni erstanden hatte) und Reblochon – ohne Fichtenkorsett. Tatsächlich war beides geradliniger und weniger süß als der darauffolgende, gut ein Jahr alte Gruyère. Vacherin Fribourgeois war für viele von Euch neu, ein Cousin des Vacherin Mont d’Or, der als fünf bis neun Kilo schwerer, rotgeschmierter Weichkäse unter der Rinde deutlich schneller reift als im häufig noch quarkig säuerlich bis bitteren Kern, zumindest aus handwerklicher Produktion. In der Schweiz wird er wegen seiner superkremigen Art vor allem zu Fondue verarbeitet und dabei moitié-moitiézur Hälfte mit geriebenem Gruyère gemischt. Auch Euch fiel seine Textur ganz besonders auf.

In den Gläsern waren wir nach dem rituellen Freitagabend Sekt (Riesling Brut von Wilfried Frey aus dem Breisgau) mit dem Petite Arvine von Bonvin ins schweizerische Wallis gezogen. Ein streichelweicher und nach hinten doch kraftvoller Wein, der sich ausgesprochen käsefreundlich zeigte (und zu dem mir Serendipity am nächsten Morgen dieses schöne Bild nachlieferte!).

Dann, endlich, Vacherin Mont d’Or – der traditionell aus der wenigen, aber durch die Heufütterung sehr gehaltvollen Wintermilch von September bis März produziert wird. Wir begannen wieder in Frankreich. Erst von einer großen Torte, die relativ schnittfest war und geschmacklich zurückhaltend, der Rindenring nur unmittelbar unter der Käserinde erkennbar. Vom selben Produzenten dann die kleine Form in der Spanschachtel (deren Produktion eine Kulturform in sich darstellt) – beinahe flüssig und hier mit den aus meiner Sicht so typischen Aromen, die mich häufig an Senf und etwas Floral-Fruchtiges wie Himbeeren erinnern. Ganz ähnlich und doch ganz anders – nicht ganz so fließend und von einer unterschwelligen Säure getragen und strukturiert – das selbe Format von einem anderen Produzenten und Affineur. Es war wie immer; die einen zogen diesen vor, die anderen jenen… Einig waren wir uns aber, daß die flintig-steinige Cuvée d’Automne aus Savagnin und Chardonnay der Domaine de la Pinte aus dem Arbois sich damit ziemlich gut vertrug!

Auch der nächste Wein, meine letzte Flasche 2011 Aristos, wunderbar duftender Gewürztraminer aus dem Südtiroler Eisacktal gefiel Euch, verhielt sich aber zum nachfolgenden Schweizer Vacherin (auch superreif und so richtig geluschtig) für alle etwas unterschiedlich. Wir sprachen noch ein bißchen über Barrique-Weinfässer Rohmilch und thermisierte bzw. pasteurisierte Milch, wie der Vacherin zu seinen Dackelfalten kommt und sich sehr schnell in ein Readymade-Fondue verwandeln läßt, bevor wir schließlich sowohl im Glas als auch auf den Brettchen das Thema komplett wechselten.

Der 2012 Grignolino d’Asti San Bastiano von Castello di Uviglie trat und nicht wie sonst üblich säurerassig und beinahe weißweinig auf, sondern rund und traubenfruchtig, beinahe pinot-artig. Ein superschöner Wein, mit dem der kleine runde Red Hawk der Cowgirls aus Marin County unmittelbar nördlich von San Francisco überraschend gut harmonierte. Als Triple Cream schmolz er auf der Zunge wie feinste Butterkrem, und auf Euren Gesichtern breitete sich ein gewisses wonniges Verzücken aus… Wenn es jetzt draußen grau und kalt wird, dann denkt zurück an diesen Moment. Bis bald und cheesio.

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