Heinzelwein-Dreier für den November 2018: Licht und Dunkel. Carpentin-Apfel, Alicante und Herman Melville

Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.

Manchmal ist es schon echt anstrengend, auf der optimistischen Seite des Lebens zu bleiben. November-Blues? Nein. Eine Baustelle hinterm Haus, wo ein ganzer Komplex abgerissen wird, der erst 20 Jahre stand. Ich blicke also seit Wochen auf Ruinen, mit enormem technischen Aufwand verbunden. Und denke an andere Ruinen, Asche, Schutt, Zerstörung. Ich weiß nicht, warum und wie mir deshalb die Naturwein-Bewegung in den Sinn gekommen ist. Aber ich glaube, daß es einen Zusammenhang gibt. Daß es manchmal im Glas auch dunkle Seiten geben muß, es kratzen und stören und schlieren muß, es zuwenig ist, sich nur mit der fruchtigen Schönheit zu beschäftigen, wie Flucht und Weggucken, statt dem Dunkel ins Auge zu schauen.

Und nein, Gerbstoff im Glas rettet die Welt natürlich nicht. Aber Weine mit einer dunklen Seite helfen einem vielleicht manchmal, besser mit ihr zurecht zu kommen. Und das ist schon viel.

Hier zwei „dunkle“ Weine, die mir in den letzten Wochen begegnet sind.

Der 2015 Carpentin Barrique von Andreas Schneider aus Niedererlenbach bei Frankfurt/Main ist der erste Apfelwein, bei dem mir der Holzeinsatz (also die Lagerung im kleinen Eichenholzfaß, was zu verstärkter Gerbstoffpräsenz im Glas führt) rundherum einleuchtet, gefällt und den Wein bereichert. Diese dunkle Seite  verleiht der herben Apfelfrucht Rückgrat und Ernsthaftigkeit und trotz lediglich 6,5% Alkohol Standingpower beim Essen.

Der 2016 Albahra von Envínate kommt von einem jungen spanischen Weinmacherkollektiv. Die vier suchen nach alten Rebparzellen auf den kanarischen Inseln, in Galizien und der Estremadura und verarbeiten die Trauben mit sowenig Eingriffen wie möglich zu Wein. Ob das nun Naturwein zu nennen ist oder nicht, ist eigentlich ziemlich egal. Es ist brutal lokal und ehrlich (würde Billy Wagner sagen), und scheut auch vor einer Cuvée aus gut zwei Dritteln Alicante Bouschet nicht zurück. Auf 800 Metern gewachsen heißt diese durch und durch rote Traube (die zur Familie der sogenannten Färbertrauben gehört, die ursprünglich zum farblichen Aufbessern unterstützungsbedürftiger blasser Rotweine eingesetzt wurde) im Südosten von Castilla-La Mancha Garnacha Tintorera. Das andere Drittel besteht aus Moravia Agria (autochthon, selten, säurebetont, wenig Alkohol). In Beton und Barriques ausgebaut, ganz wenig Schwefel bei der Abfüllung. Ergebnis: ein dunkles, tiefes Loch, das trotzdem Optimismus verströmt, weil es das Schwarz greifbar macht und in so viel herbe, wunderbare Frucht auflöst (ohne dafür mehr als in diesem Kontext zurückhaltende 13,5% Alkohol zu benötigen).

Alles schwer zu beschreiben. Aber sehr passend zu einem Gedicht von Herman Melville – den ich bis jetzt auch auch „nur“ als Mr Moby Dick kannte. Über die (äußerst empfehlenswerten) Essays der großartigen Elizabeth Hardwick bin ich auf die Gedichtsammlung Battle-Pieces and Aspects of the War gestoßen, die Melville 1866 in Erinnerung an die im amerikanischen Bürgerkrieg Gefallenen veröffentlicht hat. Auch jede Menge Ruinen… 1860 schrieb er Misgivings:

When ocean-clouds over inland hills
Sweep storming inmate autumn brown,
And horror the sodden valley fills,
And the spire falls crashing in the town,
I muse upon my country’s ills–
The tempest bursting from the waste of Time
On the world’s fairest hope linked with man’s foulest crime.

Nature’s dark side is heeded now–
(Ah! optimist-cheer disheartened flown)–
A child may read the moody brow
Of yon black mountain lone.
With shouts the torrents down the gorges go,
And storms are formed behind the storm we feel:
The hemlock shakes in the rafter, the oak in the driving keel. 

Wozu jetzt abschließend Leonard Cohen paßt:

There’s a crack in everything, that’s how the light gets in…

Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.

Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, ganz unterschiedlich, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, in Gedichtform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein begegnet mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: hier gibt es den Carpentin, und hier den Albahra. Trinken, kochen, lesen, schmecken, denken müßt Ihr selbst…

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