Heinzelnews für den August 2024: Sommer-Driften fürs Hirn in weiß, rot und rosé – um sich ans Große, Bunte, Ganze zu erinnern

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Zu einem richtigen Sommer gehört für mich, daß das Hirn einfach mal driften darf, all die sonst so wichtigen, „richtigen“ Dinge nebensächlich werden, sei es hitze-, strand- oder sonstwie saisonal bedingt. Summertime, and the living is easy… jedenfalls hier und für einen Moment. Dabei helfen: Tomaten zuhauf, mit weißem Käse und grünen, duftenden Blättern auf dem Teller, Rosé im Glas.

Deshalb: weißer Käse. Muß nicht Mozzarella sein und auch nicht Burrata oder Feta. Die beiden hier sind vom Hof Marienhöhe in Bad Saarow, und Katharina Goldammer nennt sie Schneewittchen und ganz einfach Weichkäse. Unprätentiös wie alle ihre Käse leben sie von der großartigen Qualität der Milch, der eine dichter, feiner Quark, der andere kurz in Salzlake gereift. Die Grenzen dazwischen sind fließend, bei ersterem wird die Milch hauptsächlich durch Säuerung dickgelegt, bei letzteren durch die enzymatische Wirkung von Lab, die Textur weniger krümelig. Die meisten Hofkäser bieten Vergleichbares an. Tomaten passen so oder so. Grüne Blätter auch, in diesem Fall der Wildkräutersalat von den Marienhöhe-Gärtnern, eine Mischung quer durch Wiesen und Blumenbeet, die sich jede Marktwoche ändert, mit jeder Gabelvoll andere Aromen in sich birgt. Ein Luxus, der mich immer wieder daran erinnert, was wir Kühen (und anderen Grünzeugfressern) vorenthalten, wenn wir sie nicht auf die Weide lassen: das Rupfen von mal diesem und mal jenem Kraut, die Vorliebe heute für dies, morgen für das. Abwechslung. Vielfalt. Das ist nämlich für Tiere erwiesenermaßen genauso wichtig wie für uns Menschen. Jeden Tag das gleiche Fertigfutter vorgesetzt zu bekommen, läßt nicht nur Sinne und Seele verkümmern, sondern auch das Leben an sich.

Dazu zum Lesen: ein sehr guter Artikel von Oliver Schlaudt, der nochmal die Verarmung der industrialisierten Käsekulturen aufgreift (aufs Bild tippen, dann sehr Ihr ihn in voller Größe – und danke Mel fürs Schicken!).

Vor der zweiten Leseempfehlung schnell noch was ins Glas: Rosé!!! M de Libium 2023, BuveZ’en. Aus der Ardèche, eine Autostunde nördlich von Avignon, von der Familie Thibon und ihrem alten Weingut Mas de Libian, aus Grenache, Mourvèdre und der alten Sorte Counoise (Vielfalt!). Feinrauchig, vom Süden geprägt und doch keine Spur von schwer, beerige Frucht und Salzigkeit in gefährlicher Balance, läßt weiß, rot und grün auf dem Teller mit den Schwalben am Sommerhimmel… ja, was auch immer. Sommer eben! ;)))

Lesestoff zum zweiten: ebenso eingängig, dabei alles andere als banal (und farblich perfekt ;) Bitch von Lucy Cooke. Ich hab’s auf englisch gelesen, gibt es aber auch auf deutsch, da heißt der Untertitel: Ein revolutionärer Blick auf Sex, Evolution und die Macht des Weiblichen im Tierreich: Die Zeit ist reif, das Weibliche neu zu definieren! Cooke ist Zoologin und den alten Stuss aus viktorianischen Darwin-Zeiten leid. Aktiv-aggressive Männer, passiv-angepaßte Frauen. Entweder oder. Ihr Korrektiv ist ausgesprochen gut und unterhaltsam geschrieben. Sie erzählt von Lemurenweibchen, die die Männchen ihrer Art physisch und politisch dominieren, von Hermaphroditen-Maulwürfen und Albatrosweibchen, die sich zusammentun, um ihren Nachwuchs gemeinsam großzuziehen sowie von Clownfischen, die ihr Geschlecht kontinuierlich ändern – um letztendlich unser gesamtes kümmerliches, binares Gender-Bild in Frage zu stellen und neu zu überdenken.

„Modern researchers have critiqued scientific language for failing to evolve fast enough to encompass the spectrum of sexual systems and their expression. ‚It is important to remember that the diversity found in nature will seldom be captured by our terminology,‘ opined the author of a recent linguistically challenged compendium of the sexual systems. […] Whether the issue is semantic or philosophical the fact remains that mainstream biology is proving slow to evolve beyond basic binary definitions of sex and recognise the facts of biology. […] Viewing the animal kingdom through binary goggles has forced scientists like Darwin, and many who followed in his footsteps, to focus on the differences between the sexes, when studying the parallels could be more revealing. […] The truth is that males and females are more alike than they are different.“

Natur kann viel mehr, als wir uns Schubladen ausdenken. Natur kann immer mehr, als wir verstehen oder denken können. Das sommerliche Hirndriften ist wichtig, um sich daran zu erinnern, es zumindest zu erahnen. Wir sind viele!

Und zum Schluß: der nächste Heinzelcheesetalk findet am 23. August in der Markthalle Neun statt, zweifellos kuschelig warm. Es wird ganz lose um Cheddar gehen, Einladung wie immer separat.

Danke fürs Lesen und viel Spaß beim Driften.

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