Gäbe es Kanada nicht, müßte man unter den gegenwärtigen Umständen erfinden. Ein echtes Einwanderungsland, das Neuankömmlinge als Bereicherung empfindet und von „wir“ spricht statt von Leitkultur und Integration. Ok, das geht nicht immer alles reibungslos vonstatten, und im Winter ist es tatsächlich ziemlich kalt und im Sommer sehr warm und ziemlich mückengeplagt. Macht aber nichts, denn die kulturelle und somit auch kulinarische Vielfalt hier ist einfach fantastisch.
Den gesamten Mai war ich unterwegs, bin von New York City durch Massachusetts und Vermont (Jasper Hill Cellars!) in den Osten Kanadas gereist, war in Québec, Nova Scotia und Ontario, von Prince Edward County bis nach Niagara. Wer auf die Landkarte schaut und meint, Nova Scotia etwa sei doch sicher unter ewigem Schnee begraben und kaum besiedelt – weit gefehlt. Überall ging es – selbstverständlich – um Käse, und um Wein! Und um gleich hier und jetzt einmal mehr damit aufzuräumen: Kanada kann Eiswein, ja, aber auch viel viel mehr…
Was den Käse betrifft, haben die Anglo-Kanadier die Tradition des Cheddars mitgebracht, Franko-Kanadier hingegen die Vorliebe für Alpines nach Art des Comté, Weichkäse und Blauschimmel aus Schafsmilch. In Halifax war ich bei Lyndell Findlay, die mit ihrem Startup Blue Harbour Cheese mitten in der Stadt den großartigen Urban Blue macht.
In Stratford, zwei Autostunden westlich von Toronto, habe ich Ruth Klahsen und ihre Monforte Dairy besucht. In Toronto selbst gibt es eine ganze Reihe sehr guter Käseläden, die besonders auch die regionalen Käse anbieten und dafür eine neue Logistik entwickeln. Was heißt: mein Koffer war gut gefüllt: wir haben uns durch sage und schreibe 14 Käse verkostet!
Den Anfang machten die Cheddar, sechs Stück, um Euch die beeindruckende Vielfalt dieser Kategorie zumindest im Ansatz zu zeigen. Über Ahorn geräuchert und aus Rohmilch der von Grafton aus Vermont, dann drei Versionen von der Cabot Creamery (Lamberton, Farmhouse Reserve und Vintage Choice), gefolgt vom Cabot Clothbound, einem Gemeinschaftsprojekt von Cabot und Jasper Hill Cellars, der nicht als Block in Folie reift, sondern traditionell mit Schmalz eingestrichen und mit Leinen bandagiert im Keller – ein Riesenunterschied, wart Ihr Euch einig. Aber auch der wiederum blockgereifte, aber im viel kleinerem Kessel gekäste Providence Cheddar von Ruth Klahsen’s Monforte Dairy gefiel Euch mit seiner prägnanten Säure ausnehmend gut.
An diesem Punkt hatten wir natürlich bereits eine Reihe von Weinen im Glas gehabt: Rieslingsekt von Frey aus dem Breisgau, trockenen Riesling von Münzberg aus der Pfalz – und dann endlich Kanada: 2013 South Close Vineyard Chardonnay von Closson Chase aus Prince Edward County, gefolgt von dem 2012 Picone Vineyard Riesling von Charles Baker aus Niagara (der Euch mit seiner präzisen Frucht und Balance besonders gut gefiel).
Der Wildwood von Stonetown einer Schweizer Familie und der Buffalina von Fifthtown, beide ebenfalls aus Ontario, zeigten dann die Dynamik der Käseszene im Osten Kanadas, weit über Cheddar hinaus (der ursprünglich nicht nur die Grundversorgung der Kolonialisten sicherstellte, sondern vor allem für das britische Mutterland bestimmt war). Aus Québec hatte ich von der Fromagerie La Station den 24 Monate gereiften Halbhartkäse Alfred und seinen großen Bruder („Fabrication Spéciale“, noch ein bißchen älter und konzentrierter) mitgebracht. Wiederum von Monforte kam der drei Monate gereifte, estragon-ummantelte Little Prince, kleine Ziegenkäse-Rollen, die wunderbar zwischen Frische und bröckeliger Reife schwebten (ich weiß, ein Bild von den Käsen wäre jetzt gut…hab ich aber über all dem Erzählen und Einschenken und Käseverteilen natürlich wieder vergessen – bitte erinnert mich in Zukunft daran!!!).
Drei Rotweine: samtig-beerig der 2015 Pinot Noir von Kaufmann (vormals Hans Lang) aus dem Rheingau, kräuterig und dicht der 2012 Cabernet Franc von Cave Spring Cellars aus Niagara, gereift und ebenfalls sehr käse-affin der 2011 Lemberger Wildspontan von Merkel aus Württemberg.
Zwei Blauschimmelkäse: der bereits erwähnte Urban Blue aus Halifax/Nova Scotia war ausgesprochen mehrheitstauglich (leider, leider konnte ich keinen Schaumwein aus Nova Scotia organisieren, überhaupt hätte ich Euch gerne so viel mehr kanadische Weine gezeigt…). Der Bleu de La Moutonnière aus Québec war trotz der Reisestrapazen ein Glanzstück an von Blauschimmel sortierter Schafsmilch-Üppigkeit und alles andere als ein Roquefort-Abklatsch.
Grande Finale: der Fichtenrinde ummantelte, rotgeschmierte Winnimere vom Jasper Hill-Team, charakterstark und dicht (im Bild links). Im Glas dazu desgleichen, 2014 Riesling Icewine von Cave Spring Cellars. Wow. Da gab es nichts zu reparieren, aber ein bißchen Erfrischung an diesem warmen Tag konnte nicht schaden. Daher ganz anders, sehr vergnüglich: der 2016 Pousio Rosé von Monte da Ribeira aus dem Alentejo in Portugal. Genießt die langen Sommerabende – cheerio und cheesio.
PS Auf den Fotos unten zwei Käseladen-Empfehlungen für Toronto: Steve ist der enthusiastische Käseeinkäufer bei Sanagan’s Meat Locker (großartige Fleischerei), und Nadia betreut die bestsortierte Käsetheke in dem Bioladen 4Life, 210 Augusta Avenue.
HeinzelCheeseTalks finden rund einmal im Monat an einem Freitag um 18h in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg statt, an dem langen Tisch gegenüber vom Suff-Weinstand. Ich bringe spannende Käse mit, öffne ein paar Flaschen Wein, wir verkosten, reden, diskutieren, alles ganz entspannt (und größtenteils auf deutsch – obgleich wir es im allgemeinen auch schaffen, den einen oder anderen auf englisch “mitzunehmen”). Die Einladung geht etwa zehn Tage vorher an eine Mailingliste, die fünfzehn Plätze am Tisch werden auf Reservierung per Email vergeben, die meinerseits am Montag vor dem HeinzelCheeseTalk schriftlich bestätigt wird. Ich freue mich über einen freiwilligen Kostenbeitrag von zwölf Euro pro Käsegenießer, wenn’s extra viel Spaß gemacht hat, dürfen es auch ein oder zwei Euro mehr sein… cheesio!
Und wenn Ihr das gerne gelesen habt, dann klickt Ihr vielleicht auch auf diesen Button und unterstützt mich in meiner Arbeit. Danke.
Vielen Dank für die Einladung und den sehr netten und informativen Cheese-Talk. Es hat uns sehr gefallen und wir würden uns freuen, beim nächsten Mal wieder dabei zu sein.
Liebe Grüsse!
Und der Kaufmann-Pinot verbleibt erfolgreich auf meiner „Wunschliste“…
:-)))
Liebe Ursula,
war das ein toller Abend: so viele Informationen, so guter Wein und soooo viel interessanter und köstlicher Käse! Cheddar hat für uns jetzt eine ganz andere Bedeutung bekommen und überhaupt, Käse richtig im Mund wahrzunehmen und zu schmecken – das war eine neue Erfahrung. Das Ganze begleitet von Deinen erfrischenden und humorvollen Reisebeschreibungen – das hat großen Spaß gemacht. Ein herzliches Dankeschön dafür.
Herzliche Grüße
Doris & Heinz
Dank an Euch für Interesse, Offenheit und gute Laune!