Käse des Monats Juni 2017: Urban Blue von Blue Harbour Cheese in Halifax, Nova Scotia/Kanada

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Kleine handwerkliche Käseproduzenten, das klingt immer so wunderbar romantisch, politisch korrekt und nach Idylle – und ist doch bei näherer Betrachtung oft reiner Überlebenskampf, inmitten von viel Überlastung, Verzicht und (zumindest aus meiner Städtersicht) grenzwertigem Chaos. Das kann so extrem ausfallen, daß ich mich manchmal aktiv bemühen muß, dieses Chaos im Kopf von Käse und Qualität zu trennen… Doch es geht auch anders.

Im Mai war ich in Vermont und dem Osten Kanadas unterwegs und natürlich bemüht, neben viel Wein (jaaa!) auch einiges an Käse „mitzunehmen“. In Nova Scotia (wo es unter anderem großartige Schaumweine gibt) begegnete mir gleich am ersten Abend auf dem Käsebrett in dem wunderbaren Restaurant der Domaine du Grand Pré, Le Caveau, der Urban Blue (ganz links auf dem Brett). Um dann zuverlässig in wirklich jeder Theke und Käseauswahl wieder aufzutauchen. Dicht und schmelzend, mit einer beeindruckenden Ausgewogenheit von Süße und Umami. Folglich wollte ich natürlich wissen, wer, was, wie, wo dahinter steckte! Worauf ich an meinem letzten Abend in Halifax leicht gehetzt bei Blue Harbour Cheese landete und Lyndell Findlay kennenlernte.

Lyndell ist 67, super fit, super ordentlich, und sprachlich unverkennbar in Australien geboren. Ihr Paß ist jedoch seit 1999 ein kanadischer: „Ich habe lange für die UN an sehr interessanten Orten mit Flüchtlingen gearbeitet, aber viele Sommer an der kanadischen Ostküste verbracht, und irgendwann wußte ich einfach, daß dies meine neue Heimat war.“ Ein neues Leben, eine neue Karriere, das war nicht einfach. Käsemachen als Idee gefiel ihr, Ahnung davon hatte sie keine. Also ging sie zuerst nach Ohio fürs Praktische, dann nach Vermont fürs Theoretische. Blauschimmelkäse war schon immer eine Vorliebe, und ein eigenes Unternehmen mußte es sein, weil Käsereien in Nova Scotia ziemlich dünn gesät sind.

Sie fand ein „Cottage“, ein kleines Häuschen, in Halifax und baute es unter Rücksprache mit der städtischen Hygiene-Aufsicht zu einem Betrieb um. Der vordere Teil ist an eine glutenfreie Bäckerei vermietet, im hinteren residiert, beinahe unsichtbar, seit November 2013 „Blue Harbour Cheese“: eine super-aufgeräumte, rational eingerichtete Kleinstkäserei.

Der Urban Blue ist im Laufe von vielen 2kg-Experimenten entstanden, unter Mithilfe eines örtlichen Feinkosthändlers, Pete Luckett, der mit seinem Team immer wieder blind verkostete und Feedback gab. Heute verarbeitet sie zweimal wöchtlich 240 Liter pasteurisierte Kuhmilch der örtlichen Molkerei zu kiloschweren Blöcken, die dreimal händisch trocken gesalzen und dann mit einer maßgefertigten Apparatur angestochen gewerden, um schließlich in Pergament eingewickelt zu reifen. Innen wächst der Blauschimmel in Adern, außen als trockene, graublaue pilzige Rinde.

Die Lage mitten in der Stadt ist nicht ganz einfach, wie etwa die Molke zu einem Bauern als Futter für die Schweine zu transportieren, aber diese Frau hat offensichtlich schon ganz andere Probleme gelöst. Und hat mittlerweile auch eine Quelle für unbehandelte Schafsmilch gefunden, aus der sie während der Saison einmal wöchentlich Electric Blue (einen Zylinder in der Größe einer Fourme de Montbrison, ausgesprochen fein) sowie den mit Bier geschmierten Hiphop macht (einen quadratischen Weichkäse in der Größe eines Maroilles, der die Schafsfülle ungewöhnlich und gekonnt säuerlich quarkig bändigt). Doch Urban Blue ist der städtische, souveräne Star dieses ungewöhnlichen Startups, das beweist, daß Kreativität nicht unbedingt Chaos bedeuten muß.

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