HeinzelCheeseTalk #36: Norwegen. Ziegen, Kühe und brauner Käse. Freitag, 10. Februar 2017

Früher war alles besser – Blödsinn. Beziehungsweise: manches schon. George W etwa scheint im Rückblick wie eitler Sonnenschein. Und die Grüne Woche in Berlin war für mich als Kind einfach großartig. Lauter kleine Schächtelchen und Pröbchen, echtes französisches Baguette und American Icecream, als an Häägen Dasz, Lenôtre und Délifrance noch nicht einmal zu denken war. Frau Antje aus Holland (wo es auch die besten Fritten der Welt gab, aus mehligen Bintje…) und die Kuh Karoline aus Dänemark als Bastelbogen. Heute hingegen muß ich schon sehr selektiv vorgehen, um ausreichend Motivation für eine Tour rund um den Funkturm zusammenzukratzen.

Kraftkarganz

Aber es gibt immer wieder Überraschungen (Sura Kees aus dem Montafon, Dorschleber aus Lettland, Ziegenkäse aus Polen, Fleisch aus Schottland) und vor allem eine feste Größe: Norwegen. Großartiger Auftritt, jede Menge gute Sachen. Vor ein paar Jahren hatte ich am norwegischen Stand einen sehr sympathischen Käser kennengelernt, Sven Hapnes. Dieses Mal gab es zwei Laibe vom äußerst gefragten Kraftkar, einem Blauschimmelkäse von der norwegischen Westküste, der im Dezember bei den World Cheese Awards in San Sebastian zum World Champion erklärt wurde – leider nur zum Probieren, nicht zum Verkaufen…

GeitostTheke

Was es jedoch gab, war Brunost, und davon hatte ich jede Menge eingekauft für Euch, um diesem eigenwilligen Kerl so richtig auf den Grund gehen zu können. Brunost, manche nennen ihn auch Geitost, das ist dieser mehr oder weniger dunkelbraune Käse, der eigentlich gar keiner ist, sondern aus extrem eingekochter, karamellisierter Molke entsteht, süß und umamiherzhaft zugleich schmeckt, wie eine Mischung aus Nutella und Marmite. Mehr dazu könnt Ihr von mir auch hier lesen.

WeinHCTNorwegen

Wir beschäftigten uns mit drei (eigentlich vier) Versionen sowie den „normalen“ Käsen derselben Produzenten. Und ein paar anderen Trouvaillen… und Wein gab es natürlich auch! Von trockenem Riesling (mit Bubbles von Frey aus dem Breisgau, ohne von Kampf aus Rheinhessen), über Chardonnay (von Kayra aus der Türkei, sehr gut gemacht, noch jung, mit sehr schönem Holztouch) und naturherbem Sauvignon (von den Musters aus der Steiermark) sowie Zoli Heilmanns Kadarka (ja, genau, Kadarka, aus Ungarn, endlich mal in gut ;-) bis hin zu süßen Weinen in drei Variationen: als halbtrockener Rieslaner Sekt (überraschend gelungen, 1998 von Schales aus Rheinhessen), als richtig süße Beerenauslese (2015 von Dorst & Bietighöfer, aus Gewürztraminer, Scheu und ein bißchen Burgunder) und schließlich – gar nicht süß. Ich hatte nie so richtig aufs Etikett des Muj viejo, also sehr alten (über 40-jährige Solera) Amontillado Sherry von Quo Vadis/Delgado Zuleta geschaut, sondern diese Flasche als PX, also sehr süßen Sherry im Keller einsortiert… so ist das mit den Schubladen! Serendipity wußte aber genau, was sie da tat, denn dieser großartig komplexe, zugleich nussig gereifte und blütenhonigfrische Wein, mit süßer Reife und zugleich hefiger Würze stellte einen perfekten Schlusspunkt des Abends dar, wie Brunost in flüssig.

norsk gardost

Doch von vorn: wir redeten über die norwegische Käselandschaft als solche, wo seit Ende des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung immer weiter zur Konsolidierung geführt hat. Norvegia heißt der gouda-artige Standardkäse der Norweger, für den Export gibt es den am Emmentaler angelehnten Jarlsberg, alles von der Großmolkerei Time, einer Genossenschaft, die in Norwegen quasi Monopolstellung genießt. Doch seit den 1990ern hat sich eine handwerkliche Käseszene entwickelt, kleine Höfe, die ihre eigene Milch verarbeiten und vermarkten (und bis jetzt den Luxus genießen, dank der Tine-Milchwagen jederzeit einen produktionsfreien Tag einlegen zu können, selbst für Ziegenmilch!). Durch sie sind neue Käse entstanden und alte Traditionen wiederbelebt und erhalten worden, unter anderem der echte braune Käse (brun-ost).

Brunost

Der ist nämlich traditionell aus Ziegenmilch (oder vielmehr Molke, der in manchen Fällen etwas frische Milch oder Sahne zugesetzt wird), von den abgelegenen Ufern der Fjorde, und heißt korrekt Ekte Geitost, echter Ziegenkäse. Der allgegenwärtige Guldbrandsdalen von Tine hingegen fungiert als Mysost, Molkenkäse. Links auf dem Bild seht Ihr den hellen Tine neben dem dunklen Aålan Gard. Zu jedem braunen Geitost gehört als Pendant ein „weißer“ Käse, bei dessen Erzeugung (mit Lab) die Molke anfällt (die von den budeier, den Milchmägden, als zu wertvoll betrachtet wurde, um sie an die Schweine zu verfüttern).

Wir verkosteten zuerst diese weißen Käse (die im Gegensatz zu Kuhmilchkäsen tatsächlich weiß sind, weil Ziegen das gelbe Karotin aus dem Gras in farbloses Vitamin A verstoffwechseln). Es war äußerst spannend, wie sich die stilistischen Unterschiede zwischen Lega aus der Telemark (frischer, „vertikaler“, mehr Säure) und Aålan Gard auf den Lofoten (konzentrierter, komplexer, „dunkler“) jeweils in beiden Käsen erkennen ließen. Als drittes Paar hatte ich neun Monate alten Bergkäse und den exakt wie in Norwegen erzeugten Sig (oder Wäldlerschokolade) von der Dofsennerei Hittisau im Bregenzerwald mitgebracht, wo es genau die gleiche Tradition gibt, allerdings mit Kuhmilch. Der Sig war überraschend süß und schmeckte deutlich nach Sternanis – ich muß noch herausfinden, ob er tatsächlich gewürzt wird.

Dem Hittisauer Bergkäse leistete der ähnlich erzeugte, 18 Monate reife, splitternde Wrångebäck von Almnäs Bruk am schwedischen Vätternsee Gesellschaft. Auch die „weißen“ Ziegenkäse stellten wir in einen größeren Kontext, mit der sehr fein gereiften Eifelwürze vom Vulkaneifel (ja, genau, aus der Vulkaneifel), dem ebenfalls sehr eleganten Undredal Vellagra von Sognefjord (die ebenfalls sehr guten Geitost machen, den ich aber nicht auftreiben konnte) und einer echten Trouvaille von der Grünen Woche, einem gereiften Ziegenkäse aus Polen, von Marek Gradzki. Der hat in Lwówek, eine gute Autostunde östlich von Frankfurt/Oder, einen Ziegenhof mit Käserei – und steht jetzt fest auf der Heinzelcheese-Liste unbedingt zu besuchender Käse-Adressen!

Ihr wart eine tolle Runde. Danke, cheerio – und lykke til!

Kaese Norwegen HCT 36

PS: Der Norweger als solcher isst seinen braunen Käse dünn gehobelt auf Butterbrot, und da traf es sich gut, daß uns 100Brote, ein neuer Name in der Berliner Bäckerszene, sehr großzügig mit ausgesprochen krustiger Unterlage versehen hatte (danke Karsten Greve!). Wer davon Nachschub braucht: die Details findet Ihr hier.

HeinzelCheeseTalks finden rund einmal im Monat an einem Freitag um 18h in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg statt, an dem langen Tisch gegenüber vom Suff-Weinstand. Ich bringe spannende Käse mit, öffne ein paar Flaschen Wein, wir verkosten, reden, diskutieren, alles ganz entspannt (und größtenteils auf deutsch – obgleich wir es im allgemeinen auch schaffen, den einen oder anderen auf englisch “mitzunehmen”). 

Die Einladung geht etwa zehn Tage vorher an eine Mailingliste, die fünfzehn Plätze am Tisch werden auf Reservierung per Email vergeben, die meinerseits am Montag vor dem HeinzelCheeseTalk schriftlich bestätigt wird. Ich freue mich über einen freiwilligen Kostenbeitrag von zwölf Euro pro Käsegenießer, wenn’s extra viel Spaß gemacht hat, dürfen es auch ein oder zwei Euro mehr sein… cheesio!

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