HeinzelCheeseTalk zum Vierten – 29. August 2014: Käse (und Wein!) aus Polen

Sommerzeit ist ist auch in HeinzelCheese-Land Reisezeit, wie aufmerksame Leser unschwer festgestellt haben dürften. Nach Griechenland, Türkei und dem Allgäu war ich vor kurzem in Polen, um die dortige Foodszene zu erforschen. Das war angesichts der Tatsache, daß zwischen Berlin und der polnischen Grenze nur eine Stunde Bahn- oder Autofahrt liegt, wirklich mehr als überfällig. Natürlich stand Käse mit ganz oben auf meiner Rechercheliste, und ich habe wirklich einiges Spannendes entdeckt. Ihr habt super reagiert: wir waren eine große Gruppe – danke für die tolle Resonanz und Euer Interesse! Und das haben wir  zusammen verkostet und diskutiert – vorab zur Orientierung eine Karte:

Karte Polen

 

Twarog Kopie

Twaróg: Nichts geht ohne Quark, in Polen noch viel weniger als bei uns; und natürlich ist unser Wort vom slawischen abgeleitet. Twaróg ist aber trockener und krümeliger als hier üblich.

Buncek: Ein frischer weicher Ziegenkäse von Bożena und Daniel Sokołowscy vom Bio-Hof Kozia Łąka Sery Łomnicki bei Jelenia Góra, die rund 100 Ziegen melken (kein Foto – zu schnell aufgegessen).

Marwice: Ein üppiger, angenehm säuerlicher und in der Mitte bröckeliger Schnittkäse aus Jersey-Milch vom Ökohof Frykas, den Cezary und Edyta Szczupak vor 16 Jahren gegründet haben. Sie melken 20 Ziegen und 5 Jersey-Kühe, machen alles selbst und in reiner Handarbeit. Ihre Käse fallen je nach Witterung ganz unterschiedlich aus, weil sie keinerlei Starterkulturen verwenden – dieser war ein Meisterstück.

Smielec Lomnickie

Smielec: Diesen hart gereiften Ziegenkäse, ebenfalls vom Hof Lomnickie, der mit einer schwarzen Wachsschicht überzogen war, hatte ich in einem Ökoladen in Warschau entdeckt, Wasz Sklep. Er hatte so gut wie keine Säure und war sehr schwach gesalzen und trat daher sehr leise auf.

Dojrzewajacy Lomnickie

Dojrzewajacy: Hier das Pendant ohne Wachs, offensichtlich mit verschiedensten Kulturen gereift und dann abgebürstet: sehr vielschichtig und zwar trocken, aber nicht zu trocken, salzig, aber nicht zu salzig.

Golek Markt Kopie

Golek: Diesen sehr einfachen, ziemlich salzigen, geräucherten Käse habe ich auf dem Markt neben der (wunderbaren!) Hala Mirowska in Warschau gekauft. Es ist ein weit verbreiteter Trittbrettfahrer des Oscypek aus dem Tatragebirge und schmeckt, als enthalte er eine Menge Molke.

Oscypek cut
Hanna Komperda Kopie

Oscypek: Und das ist die echte Ware! Der spindelförmige Schafskäse ist einst mit Hirten aus der Walachei aus Rumänien nach Südpolen gekommen und wird in seiner Urform nur im Sommer in den Berghütten über offenem Feuer hergestellt. Ähnlich wie Mozzarella und Cacciocavallo wird er in heißem Wasser geformt, dabei aber etwa eine Stunde mit den Händen gepresst und geknetet, um so viel Molke wie möglich heraus zu holen und ihn lange haltbar zu machen. Er ist inzwischen mit einem EU-Herkunftssiegel geschützt, laut dessen bis zu 40% Kuhmilch verwendet werden dürfen, eigentlich sollte die Milch aber von den im Gebiet heimischen Zackelschafen stammen. Die fertig geformten Käse werden unterm Hüttendach aufgestellt und dort leicht geräuchert. Das Ergebnis ist das ganze Jahr über haltbar und eine extreme Konzentration der an sich schon sehr reichhaltigen Berg-Schafsmilch; dem vielschichtigen Geschmack läßt sich ewig lange nachlauschen, als lasse man den Blick über die Weite eines Gebirgshorizonts schweifen. Auf dem generell sehr lesenswerten polnischen Foodblog Minta Eats wird die Herstellung des Oscypek ausführlich beschrieben, mit wunderbaren Fotos. Dieser Käse stammt von Wojtek und Hanna Komperda, ich habe ihn auf dem Food Festival Dobrego Smaku in Posen gekauft.

Mazuriana Frontiera

Mazuriano: Der erste von drei Käsen des großartigen Hofs Frontiera in Masuren, der vor kurzem auch sehr schön auf Arte portraitiert wurde. Ich bin auf die Käse in Posen gestoßen, in dem Käseladen Koneser (ein Wortspiel: Käse heißt auf polnisch „ser“, klingt aber auch wie Connaisseur, „Kenner“). Sylvia Szlandrowicz und 
Ruslan Kozynko sind vor etwa zehn Jahren in den äußersten Nordosten des Landes gezogen. Ihren abgeschiedenen Hof in Sorkwity haben sie Frontiera genannt, Grenze.  90 Schafe und einige Jerseykühe melken der ehemalige Atomphysiker und die Agraringenieurin heute und fühlen sich als Pioniere eines neuen Bauerndaseins.

Blue Sheep Frontiera
Blue Jersey Frontiera

Blue Jersey und Blue Schaf Frontiera: Als Käserin ist Szlandrowicz Autodidaktin, aber ihr erklärtes Ziel, den besten Blauschimmelkäse Polens zu machen, basierend auf den Erinnerungen an einen Käse, den die Großmutter einst aus Frankreich mitbrachte, hat sie längst erreicht. Ihr Frontiera Blue mag von Roquefort oder Bleu d’Auvergne inspiriert sein, ist aber von einer ganz eigenen Dichte und Klarheit zugleich geprägt – ich will nach Masuren!!!

Ser smazony

Ser smazony z kminkiem: Ohne diesen Kochkäse mit Kümmel, der leicht erwärmt der Superdip für alle Käsefreaks ist, wäre keine polnische Käseverkostung komplett. Er stammt ursprünglich aus der Region Wielkopolski und wurde (wie auch der französische Cancoillotte) als „Hauskäse“ in Schlesien selbstgemacht.

Bryndza: Und schließlich noch etwas ganz Eigenes, vom Ziegenhof Figa der Familie Maziejuk. Dafür läßt man Bundz (der genau wie Oscypek hergestellt wird, aber nicht geknetet und nicht geräuchert wird) reifen und zermahlt ihn dann zu einer feinkörnigen, sehr würzigen Paste mit deutlichen Edelschimmelaromen.

Die Weinauswahl hatte ich zugegebenermaßen nach dem Serendipity-Prinzip zusammengestellt – aber das ist nicht ohne Grund mein englisches Lieblingswort! Der Sukcesja von Winnice Dziedzic 44 in Straszydle war sehr hell, wirkte schlank und schmeckte zitronig säurebetont. Er ist ein Verschnitt aus drei Rebsorten, ich habe aber nicht herausgefunden, welchen genau. Auf dem kleinen Gut werden Bianca, Aurora, Sibera, Muscat, Hibernal und Seyval Blanc angebaut. Bereits optisch ganz anders trat der  Mico von Marcin Pierozynski vom zwei Hektar großen Winnica Witanowice in Wadowice auf, ein reinsortiger Hibernal. Der Posener Weinberater Michal Wieckowicz hatte mir diesen unfiltrierten, ungeschwefelten, 11,5% leichten Weißwein mitgegeben. Ich war zugegebenermaßen skeptisch, weil der Wein ganz offensichtlich noch oder wieder aktiv war und leicht prickelte. Doch wir mochten ihn sehr, die dezenten Bratapfelaromen, die feine Säure, die leichte und doch runde Art – YES! Auch der nächste Wein war ein Star, blind hätte ich ihn für einen feinherben, leichten Riesling Kabinett aus Württemberg oder Sachsen gehalten. Der J13 (die Angabe von Rebsorte und Jahrgang macht die ohnehin bereits kafkaesk anmutenden beamtlichen Hürden für eine Alkohollizenz schier unüberwindbar, weshalb die meisten Winzer darauf verzichten) von Dom Bliskowice zwischen Warschau und Krakow an der Weichsel besteht aus Johanniter. Es ist ein Volltreffer des 4,5ha großen, 2009 von Maceij Sondij und seinem Onkel, beide Architekten, aus dem Nichts gegründeten Betriebs. Unfiltriert, minimal geschwefelt (54mg) – so kristallklar kann Naturwein schmecken – wo ist der Berliner Händler, der diesen Wein hier anbietet?!?

Der eher weiche, ein wenig süßliche Maryna (ein Rosé aus Regent, Maréchal Foch, Rondo und Léon Millot) von Winnica Szukówka, den mir Zbigniew Kmiec vom Kafe Zielony Niedzwiedz mitgegeben hatte, hatte es danach echt schwer. Eine große, positive Überraschung hingegen war der einzige Rotwein, den ich aus Polen mitgebracht hatte, der 3.12 von Bliskowice; ein reinsortiger Regent. Ganz ehrlich, wie viele reinsortige Regent-Weine fand ich bis jetzt so toll, daß ich mindestens ein ganzes Glas mit Vergnügen trinken wollte? So gut wie keine, weil sie tendenziell entweder zu gerbstoffhart schmecken oder vordergründig einseitig. Hier jedoch: ein ganzer Korb von getrockneten roten und schwarzen Beeren und Früchten, der entdeckt werden wollte statt sich aufzudrängen, unterlegt mit einer Fülle verschiedener Gewürze von Nelke bis zu Piment. Damit keine Missverständnisse aufkommen: das ist kein Grand Cru, aber ein sehr schöner Wein, und es ist erst der zweite Jahrgang… Chapeau. Danach wart Ihr in so guter Stimmung, daß wir noch eine Flasche des ebenfalls großartigen, unfiltrierten 2011 Spätburgunder von Hubert Lay aus Ihrigen geleert haben. What a wonderful world

HeinzelCheeseTalks finden rund einmal im Monat an einem Freitag um 18h in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg statt, an dem langen Tisch gegenüber vom Suff-Weinstand. Ich bringe spannende Käse mit, öffne ein paar Flaschen Wein, wir verkosten, reden, diskutieren, alles ganz entspannt (und größtenteils auf deutsch – obgleich wir es im allgemeinen auch schaffen, den einen oder anderen auf englisch “mitzunehmen”). Die Einladung geht etwa zehn Tage vorher an eine Mailingliste, dann werden die Plätze am Tisch auf Reservierung vergeben: wer schnell genug ist, ist dabei! Bitte sagt aber Bescheid, wenn Ihr dann doch nicht kommen könnt – es gibt immer eine Warteliste. Ich freue mich über einen freiwilligen Kostenbeitrag von zehn Euro pro Käsegenießer, wenn’s extra viel Spaß gemacht hat, dürfen es auch ein oder zwei Euro mehr sein… cheesio!  

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