Heinzelcheesetalk #95: Anatolien! Freitag, 2. Dezember 2022 in der Markthalle Neun

Türkische Käse, die uns an die Ursprünge unserer Zivilisation im Zweistromland führen, dazu großartige türkische Weine: es gibt ein anderes Anatolien, fern jeder Tagespolitik! Und meine Freundin und Kollegin Gamze Ineceli nahm uns mit dort hin.

Gamze war als Tänzerin und Gastronomin erfolgreich, sie verkörpert einerseits das moderne Istanbul, zieht aber andererseits auch tagelang mit Nomaden und ihren Schafen und Kamelen durchs Taurusgebirge, um die Wurzeln und Ursprünge ihrer Kultur zu verstehen. Die ja eigentlich auch die unsere ist – und deshalb ist es so faszinierend, diese Käse und Weine zu erleben und dabei mehr über die Hintergründe zu erfahren.

Wir begannen mit Riesling Sekt von Frey aus dem Breisgau zum Dil peyniri, dem frischen „Zungenkäse“ aus Kuhmilch aus der Marmara-Region. Ebenfalls von dort dann etwa sechs Monate alter Lokum Kaşar, ein großer fester Schnittkäse aus Kuh- und etwas Schafsmilch (unten links im Bild). Dazu hatte Gamze den 2020 Surgurlu von Yaban mitgebracht, einen Weißwein aus einer der vielen alten heimischen Rebsorten. Der paßte auch ganz hervorragend zu dem gebackenen Ricotta aus der Ägäis, Ayvalık Kirli Hanım (was Gamze mit „dirty lady“ übersetzte). Dann: die Tonqualität an „weißem Käse“, 18 Monate gereifter Ezine, von dem großartigen Feinkosthändler Cankurtaran im Spice Bazaar in Istanbul, zu einer meiner letzten Flaschen 2016 (!) Narince von Kayra.

Es folgte der erste Tulum, aus der großen Familie der in Säcken bzw. Beuteln gereiften Käse. Küflü Kargı, aus Schafsmilch, wird allerdings nach einigen Monaten aus dem Beutel genommen, zu Rollen geformt und reift dann mit Edelschimmel weiter, sehr dicht und doch ganz ausgewogen und sehr besonders. Im Glas dazu ganz hervorragend der frische 2021 Emir von Hus.

Der zweite Tulum kam aus Erzincan im Osten Anatoliens, 18 Monate gereift, also vom Sommer 2021, mit einer großartigen, zitronig anmutenden Frische und Leichtigkeit, trotz enormer Komplexität (auf dem Bild bei Cankurtaran im Ganzen). Auch hier griff der Emir sehr schön.

Tulum Nummer Drei, Divle Obruk, hatte Gamze komplett mitgebracht, ein rotbrauner, nach der Höhle in Divle duftender Teddybär, wo er im Zentrum Anatoliens sechs Monate verbracht hatte, von Mai bis November, und im Gegensatz zum kremigen Erzincan splittrig bröckelnd beinahe an gereiften Farmhouse Cheddar erinnerte. Gamze hatte dafür zwei Weine vorgesehen, den dunklen, herben 2021 Saperavi von Mesashuna aus Artvin am Schwarzen Meer, an der Grenze zu Georgien, und den runderen, zugänglicheren 2020 İt von Gelveri aus Kappadokien, beide in Küp bzw. Qvevri, also Tonamphoren gereift.

Mit dem sechs Monate alten Gravyeri (oben rechts in Istanbul, unten in Kars)) ging es dann nach Kars, im äußersten Osten Anatoliens, wohin Schweizer Migranten vor über hundert Jahren in russischer Verbannung die Tradition des Emmentalers mitgebracht haben. Der reife, beinahe süßlich anmutende 2021 Kalecik Karası, wiederum von Gelveri, griff das typisch Nussige des Käses ziemlich genial auf.

Und schließlich standen wir – bildlich gesprochen – am Mittelmeer, wo Milch vor allem in Form von Joghurt konserviert wird. Wir verkosteten zum einen konzentrierten, salzigen und leicht rauchigen Tuzlu Yoğurt aus Schafsmilch und zum anderen abgetropften, mit Thymian and scharf-fruchtigem Paprika gewürzt und drei Monate gereiften Antakya Sürk aus Ziegenmilch. Beide freuten sich – genauso wie wir – über 2013 Vintage Öküzgözü aus Elâzığ von Kayra. Als Abschiedsschluck, um uns wieder zurück auf europäischen Bodeenzu bringen und als Dank an Gamze gab es dann noch 2016 Riesling Auslese Saarfeilser von Nik Weis von der Mosel…

Es war eine echte Sternstunde! Danke für Eure Begeisterung, Ihr wart eine tolle Gruppe, und ich bin ziemlich sicher, daß sich Euer Bild der Türkei ein klein wenig geändert hat.

HeinzelCheeseTalks finden rund einmal im Monat an einem Freitag um 18h in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg statt, an dem langen Tisch gegenüber vom Suff-Weinstand. Ich bringe spannende Käse mit, öffne ein paar Flaschen Wein, wir verkosten, reden, diskutieren, alles ganz entspannt (und größtenteils auf deutsch – obgleich wir es im allgemeinen auch schaffen, den einen oder anderen auf englisch “mitzunehmen”). Die Einladung geht etwa zehn Tage vorher an alle Abonnenten, die sechzehn Plätze am Tisch werden auf Reservierung per Email vergeben, die meinerseits spätestens am Samstag vor dem HeinzelCheeseTalk schriftlich bestätigt wird. Ich freue mich über einen freiwilligen Kostenbeitrag von fünfzehn Euro pro Käsegenießer (bar am Ende des Abends), wenn’s extra viel Spaß gemacht hat, dürfen es auch ein oder zwei Euro mehr sein… cheesio – hoffen wir, daß die Welt zusammenhält und wieder zusammen findet.

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