Heinzelwein-Dreier für den Juni 2021: Zwei Weißweine und der Blick zurück, um nach vorne zu schauen

Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.

Ohne lange Vorrede, in diesen ja irgendwie nach wie vor turbulenten Zeiten, hier der erste Wein, eines meiner absoluten Highlights der letzten Wochen: 2015 Côtes du Jura von Jean Bourdy. Ein oxidativ ausgebauter, beinahe vier Jahre in alten, nicht ganz vollen Eichenfässern gereifter trockener Chardonnay aus dem französischen Jura, wo die Reben sich mit Bergweiden abwechseln, deren Grün sich im Comté wiederfindet.

Zugegeben, das Etikett und die Flaschenform sind… nun, nicht gerade modern. Aber der Betrieb ist seit 1579 im Besitz der Familie, wird heute von der 15. Generation geführt, und ja, Tradition wird hier hochgehalten: sämtliche Weine werden sous-voile, also unter einem Hefeschleier ausgebaut, der sich in den Fässern ähnlich wie beim Sherry bildet. Das führt zu ganz eigenem Charakter: Walnüsse in allen möglichen Formen, nasse Steine nach einem Sommerregen, quasi keine Fruchtaromen, und knochentrocken. Braucht viel Zeit und Luft, darf nicht zu kalt sein – und entwickelt sich dann auf eine Weise, die absolut faszinierend ist. Versprochen. Seit 2010 ist der Betrieb Demeter-zertifiziert, und das ließe sich nun wieder als vorwärts schauend einordnen – doch Jean-François Bourdy sagt dazu, die Umstellung sei für ihn eine Selbstverständlichkeit gewesen, so habe man schließlich immer gearbeitet, lediglich die Generation seines Vaters habe im Weinberg moderne Chemie genutzt.

Wein Nummer Zwei könnte nicht unterschiedlicher sein: duftig und zartgliedrig, die Säure rund und geradlinig, federleicht schwingend wie Apfelblüten im Frühsommerwind, eine Ahnung frischer Kräuter und des klaren Aromas der ersten Klaräpfel. Er kommt aus Winkel im Rheingau, vom Fuße des Johannisbergs: 2018 Koshu vom Weingut Schönleber-Blümlein. Koshu gilt als autochthone japanische Rebsorte (wenngleich Jancis Robinson das mit einem Fragezeichen versieht), wird dort vor allem im Zentrum des Landes in der Präfektur Yamanashi angebaut, und die Koshu-Reben im Rheingau sind die ersten außerhalb Japans. Angestoßen hat dieses Projekt Yoshiko Ueno-Müller, die Grande Dame des Sake – bei dem ja auch immer wieder das Beharren auf alten Traditionen Seite an Seite mit modernsten Methoden anzutreffen sind.

Genau dazu paßt das Buch, das mir meine Freundin Serendipity beinahe zeitgleich bescherte. In Water, Wood & Wild Things beschreibt die US-amerikanische Schriftstellerin und Künstlerin Hannah Kirshner ihre Faszination mit der japanischen Kultur. Auf dem Land bei Seattle aufgewachsen studiert sie Kunst in Rhode Island, zieht nach Brooklyn und arbeitet als Bartenderin, um „in der Welt herumzukommen“. Das führt sie in den kleinen Ort Yamanaka (in Yamanashi!), zu einem „Sake-Missionar“ und seiner winzigen Bar, wo sie den alten Kunsthandwerkern dieser Region geradezu verfällt. Sie lernt dünne Holzschalen zu drechseln und lackieren, schnitzt Tabletts, macht Sake, baut Reis und alte Gemüse an und lernt, Wildenten mit dem Netz zu fangen. Ihre sehr persönlich und offen gehaltenen Schilderungen sind tiefe Einblicke in eine Welt, die allen globalen Vernetzungen zum Trotz eine zumindest mir sehr fremde und oft befremdliche ist (wahrscheinlich trete ich in jeder meiner Sake trifft Käse-Kolumnen allen japanischen Mitmenschen auf die weiß-bestrümpften Füße – sorry).

Was mir aber alles andere als fremd oder gewöhnungsbedürftig erschien, war die wiederholte Anmahnung ihrer Lehrmeister: Don’t think, feel.

Nicht denken, fühlen.

Das gilt heute, und gestern, und morgen…

Jedes Kapitel schließt außerdem mit einem Rezept, und die sind auch großartig. Cheerio Ihr Lieben, und wie immer mein Dank an Euch, daß ich dies für Euch schreiben darf.

Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedicht- oder Musikform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein und Worten begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: den Côtes du Jura gibt es hier, den Koshu hier und das Buch von Hannah Kirshner hier (auf englisch). Trinken, schmecken, lesen, denken, leben – fühlen! – müßt Ihr wie immer selbst – keep safe.

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