Heinzelcheesetalk #80 – die siebte Space Odyssee – NEIN! Vor Ort. Tatsächlich. Freitag 2. Juli 2021

Kaum zu glauben, aber doch wahr: wir konnten uns in der Markthalle treffen, und sogar an unserem Tisch!!! Einzige Bedingung war die 3G-Regel, geimpft, genesen oder getestet. Und das ist uns doch inzwischen derart Routine…

Was gab es? Käse. Und Wein ;)) Details waren quasi nebensächlich, es mußte nur dem besonderen Anlaß angemessen ausfallen – denn war ja auch noch dazu die Nummer 80! Es war für uns alle im ersten Moment ein bißchen ungewohnt, die große Runde an unserem Tisch, und dann ganz wunderbar.

Wir begannen (angemessenerweise!) mit dem Brut Nature von Drappier, sehr klar und dabei von einer wunderbar hefekremigen Frucht bestimmt. Auf den Käsebrettchen nahmen wir uns zuerst (nachdem ich einen Ausflug in die Alpen angekündigt hatte ;) drei ganz unterschiedliche Käse von Sabine Jürß und ihren 75 Scellebelle-Ziegen in Münster vor. Alle drei waren auf dieselbe Art gemacht, als gereifte Frischkäse vor allem durch langsame Säuerung dickgelegt und handgeschöpft. Das Hügelchen war direkt unter der Rinde beinahe flüssig, im Innern noch quarkigbröckelig, der Double-Cendré mit Asche deutlich dichter und wie die kleinen, an Crottin erinnernden Lactique köstlich und quasi zum Lutschen, und doch nicht trocken – wie eine von Euch überrascht sagte: Hätte ich nie gekauft oder probiert, die schmecken ja richtig lecker und gar nicht nach Ziege… 2016 La Roche von Jens und Katja Baeder aus der sogenannten Rheinhessischen Schweiz und 2012 Kartäuser von Martin Tesch aus Langenlonsheim an der Nahe waren beides trockene Rieslinge und ähnlich feingereift und komplex; sehr würdige Scellebelle-Begleiter.

Dann aber: Alpen. Den Einstieg machte ein Klassiker, 18monatiger Bergkäse aus Schnepfau im Bregenzerwald, der nahezu zeitlos zwischen Jugend und Alter schwebte. Danach beschäftigten wir uns etwas intensiver mit den Rotschmierkulturen, die für die Rinden aller Bergkäse verantwortlich sind, auch wenn man das bei gereiften Laiben oft nicht mehr bemerkt. Ich hatte Backsteinkäse und Münster von Metzler dabei, ebenfalls aus dem Bregenzerwald, beides schnell reifende kleine Weichkäse, die intensiver dufteten als sie streng schmeckten. Die meisten von Euch mochten die üppige Milchigkeit des Backsteins und die etwas fester gekäste Art des Münsters. Es war ziemlich erstaunlich, wie gut sich der 2011 (!) Riesling (trocken!) aus der Juffer-Sonnenuhr von der Mittelmosel vom Weingut Reichsgraf von Kesselstatt damit vertrug, und wir tranken auf Annegret Reh-Gartner und all die anderen, die nurmehr im Geiste mit am Tisch sitzen.

Mit dem unkomplizierten, mit Schabzigerklee affinierten Schnittkäse von der Käsemanufaktur Allgäu sprachen wir über Aromen und tranken dazu 2018 Chardonnay von Frei Brothers aus dem Russian River Valley – was natürlich nicht in den Alpen liegt, sondern im ebenso malerischen Sonoma County, in Kalifornien. Die sahnigen Karamelnoten gefielen Euch als Ergänzung zum Käse, besonders auch zu dem nächsten, einem nahezu süßlich-cremigen „Bergkäse“ aus Småland in Schweden. Der Wrangebäck von Thomas Berglund demonstrierte, daß Bergkäse längst eine eigenständige Rezeptur ist – dann aber doch immer wieder ganz anders ausfällt.

Der 2018 Haloze hatte es ein bißchen schwer nach all diesem Schmelz, denn die trockene Cuvée aus Furmint, Sauvignon Blanc und Welschriesling von Vino Gross aus dem Südosten Sloweniens lag mit ihrer steinigen, säuretrockenen Art so ziemlich am entgegengesetzten Ende des Geschmacks-Universums – bereitete uns aber bestens auf die Rotweine vor UND vertrug sich sehr gut mit dem Cironé von Jumi aus der Nordschweiz. Dieser beinahe zwei Jahre alte Hartkäse wird zunächst auch geschmiert, dann aber ganz bewußt (und kontrolliert) den Milben überlassen, die für die meisten Käser als Fluch gelten, beim Würchwitzer Milbenkäse und Mimolette aber auch ganz gezielt eingesetzt werden, wie Ihr ganz richtig bemerktet. Zum Schluß wird der Cironé mit Öl eingerieben und bietet eine sehr eigene Aromatik, die mich manchmal an Milchreis erinnert. Der würzige 2017 Syrah von Dorli Muhr vom Spitzerberg in Carnuntum, eine Stunde östlich von Wien, begegnete ihm auf Augenhöhe und stellte eine beeindruckende Gratwanderung zwischen Reife und Frische dar.

Beaufort aus der Savoie demonstrierte dies wiederum in Käseform, schmeckte beileibe nicht süß, aber doch beinahe wie ein Dessert, so konzentriert, all die schmelzende, nougat-artige Fülle von feinen Kristallen belebt, wirklich wonnig. Wozu dann seinerseits der ebenso großartige 2013 Vintage Öküzgözü von Kayra aus Elazığ im Osten Anatoliens als passendes Gegenüber agierte…

Es war eine ziemliche Vorgabe für den letzten Bergkäse, das wurde mir in diesem Moment plötzlich klar. Ich hatte aus meiner Schatzkiste Alpkäse vom Sommer 2018 von der Alpe Loch oberhalb des Lecknertals bei Hittisau im Bregenzerwald mitgebracht. Emma und Richard Fuchs arbeiten vollkommen traditionell, vergleichbar mit Naturweinwinzern, ohne kommerzielle Kulturen oder Lab, und schmieren die Laibe nur minimal. Das Ergebnis ist ein eher leiser, aber um so spannenderer Käse, der sehr langsam reift – und mich total fasziniert.

Und natürlich habt Ihr ihn gehört, und ich war stolz auf Euch. Beinahe pünktlich fanden wir dann mit dem kleinen, sahnigen Blauschimmel-Weichkäse von Edwin Berchtold zum Schluß und beamten uns mit 2017 Cabernet Sauvignon von Louis Martini nochmals nach Kalifornien, dieses Mal ins Napa Valley – dessen mediterrane Wärme sich längst auch bei uns am Tisch ausgebreitet hatte. Wonnig und wohlig verabschiedeten wir uns ins Wochenende, auf das ausdauernde Wohlwollen der großen Corona-Göttin hoffend. Ich danke Euch für diesen Abend, das war echtes Seelenfutter.

HeinzelCheeseTalks finden rund einmal im Monat an einem Freitag um 18h in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg statt, an dem langen Tisch gegenüber vom Suff-Weinstand. Ich bringe spannende Käse mit, öffne ein paar Flaschen Wein, wir verkosten, reden, diskutieren, alles ganz entspannt (und größtenteils auf deutsch – obgleich wir es im allgemeinen auch schaffen, den einen oder anderen auf englisch “mitzunehmen”). Die Einladung geht etwa zehn Tage vorher an alle Abonnenten, die sechzehn Plätze am Tisch werden auf Reservierung per Email vergeben, die meinerseits spätestens am Samstag vor dem HeinzelCheeseTalk schriftlich bestätigt wird. Ich freue mich über einen freiwilligen Kostenbeitrag von fünfzehn Euro pro Käsegenießer (bar am Ende des Abends), wenn’s extra viel Spaß gemacht hat, dürfen es auch ein oder zwei Euro mehr sein… cheesio!

2 Gedanken zu „Heinzelcheesetalk #80 – die siebte Space Odyssee – NEIN! Vor Ort. Tatsächlich. Freitag 2. Juli 2021“

  1. Für mich persönlich war es eine Entdeckungsreise einer besonderen Art!
    Schon zu lange habe ich in meinem Leben einen großen Abstand zu Ziegenkäse gepflegt.
    Liebe Ursula, durch Deine sinnliche Einführung in die Käsewelt wurde mir nochmals bewusst wie wichtig die Qualität, Region und Herstellung sind.
    Du hast mich mit deiner persönlichen Leidenschaft und Wissen für die zwei Stunden unheimlich bereichert; es hat mich tief beeindruckt. Das ganze Konzept von Käse & Wein waren ein Gaumen Erlebnis.
    Nicht zu vergessen, die leckeren Brotsorten!
    Danke!
    Aysun Birant

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