Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.
Nein, es ist noch nicht Januar. Ich weiß. Aber ich habe Euch Bubbles für Jahresende und -anfang versprochen! Denn ohne Feuerwerk und Party ist alles andere um so wichtiger, und der 2016 Méthode Rurale von Katja und Jens Baeder wirklich ein Knaller (sorry, billiges Wortspiel), weil zugleich feinster Sekt (von vorne bis hinten mit der eigenen Traubensüße und -hefe auf der Flasche „verbubbelt“, Säure und Bubbles wunderbar ausgewogen) und großartiger Wein, nämlich trockener (auf Bubbles-Speak heißt das: Brut Nature) Riesling aus dem äußersten Südwesten Rheinhessens, der sogenannten rheinhessischen Schweiz. Die Trauben sind teils in Eckelsheim gewachsen, auf Kiesböden auf Urmeer-verwitterten Kalksteinböden, und teil in der buntsteinwürzigen Ausnahme-Lage La Roche in Uffhofen (googlemaps hilft ;). Damit läßt sich wunderbar anstoßen (auf was auch immer in diesen anstrengenden, verrückten Zeiten), aber auch ein ganzer Abend verbringen – bei mir gibt es zu Silvester Karpfen mit allerbester Butter und viel frischem Meerrettich.
Doch dann – ist Januar. Und immer noch alles mehr oder weniger wie vorher… Ich denke oft, daß die vergangenen Monate eine Art Prüfung waren und sind: Wer ist stark genug, anpassungsfähig genug, optimistisch genug? Denn nicht die Harten, sondern die Wagemutigen, Belastbaren, Flexiblen kommen durch. Was uns zur zweiten Flasche bringt: Survivor 2018 Pinotage aus Swartland/Südafrika. Schmeckt nicht nur genau richtig für den Januar (kräftige dunkle Frucht ohne Schnickschnack, ein bißchen Tabak und Teer, basta), sondern könnte keinen treffenderen Namen tragen: Survivor, Überlebender, oder eigentlich Überlebende, denn gemeint ist die (wunderschöne) Nguni-Kuh auf dem Etikett. Sie sprang, sagt das Weingut, vor Jahren von einem fahrendenViehtransporter, genau vor den Weinbergen, und überlebte nicht nur, sondern gründete eine neue Familie. Nguni-Rinder sind aus Kreuzungen indischer und europäischer Rassen entstanden und sehr widerstands- und anpassungsfähig. Ha.
Dazu mal kein Gedicht, sondern… ja, eigentlich ein Epos, nämlich das neue Meisterwerk von Harold McGee, dessen „On Food and Cooking“ einst (1984!) den wissenschaftlichen Grundstein der modernen Küche gelegt hat. Jetzt hat er nach zehn Jahren Arbeit „Nose Dive“ veröffentlicht, über das Riechen und den Geruchssinn. Abgesehen davon, daß Wein (und Essen und Trinken überhaupt) ohne Riechen ausgesprochen wenig erbaulich ist (ich hoffe, niemand von Euch ist in dieser Hinsicht coronageschädigt) gelingt Harold McGee mit diesem Buch etwas absolut Fantastisches: er erklärt uns die Welt, den Ursprung der Galaxien und allen Lebens, über die Gerüche, nämlich die Entstehung der verschiedenen Elemente und ihre sukzessive Entwicklung. Dadurch werden die Zusammenhänge des heutigen Osmokosmos verständlich, wie er ihn nennt – warum riechen Tiere anders als Pflanzen, duftet Jasmin anders als Kiefernholz? Warum riecht Käse so intensiv? Gibt es bis jetzt nur auf englisch, und ich lese jeden Morgen maximal fünf Seiten und staune…
Jedes Kapitel beginnt mit einem Zitat:
Chapter 1 – Among the Stars
„The intellect is empty if the body has never knocked about, if the nose has never quivered along the spice route. Both must change and become flexible, forget their opinions and expand the spectrum of their tastes as far as the stars.“ (Michel Serres, „The Five Senses“, 1985)
Harold McGee schreibt dann: „Yes, the stars! The sensory spread that’s laid on for us every day of our lives went onto the fire around fourteen billion years ago and has been simmering around the stars ever since. Our universe is a stew of matter and energy, and some of the molecules that we smell and taste today bubbled up in it very early on, long before the simplest form of life.“
Womit wir wieder beim Überleben, bei Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit wären… genau die wünsche ich Euch, uns allen. Wir sind bis hierher gekommen, also werden wir es auch weiter schaffen, so wach und fröhlich wie möglich. Stink und Dunkel gehören zum Leben, das wird auch in „Nose Dive“ nochmal ganz deutlich. Cheesio!
Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedicht- oder Musikform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein und Worten begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: die Bubbles gibt es hier (einfach Email schicken oder anrufen), den Survivor hier und das Wunderwerk von Harold McGee hier. Trinken, schmecken, lesen, denken, leben – hoffen! – müßt Ihr sowieso wie immer selbst – keep safe.