Biodyn – das sind doch die Super-Ökos, Spinner, die Kuhhörner mit Mist füllen und vergraben und dann bei Mondschein im Acker verteilen – oder? Ja und nein. Auch Heinzelcheese hat eine Weile gebraucht, um zu verstehen, wie jene, die Rudolf Steiners Gedanken in die Praxis umsetzen, wirklich ticken. Und warum. Glücklicherweise machen einige von ihnen Käse, großartigen Käse, und damit wird das Verstehen einfacher, weil es sich erschmecken läßt, und die Zusammenhänge (wichtiges Wort, Zusammenhang!!) erkennbar werden.
Ich war vor kurzem endlich wieder auf Hof Marienhöhe bei Bad Saarow, dem ersten und ältesten biodynamisch bewirtschafteten Hof überhaupt, seit 1928, und habe mit der langjährigen Käserin dort gesprochen, Katharina Goldammer. Dann bin ich in die entgegengesetzte Richtung gefahren, zu Sabine Denell und Hanspeter Dill auf den Capriolenhof bei Bredereiche. Sie verwandeln seit Mitte der 1990er die Landschaft der Schorfheide in superfeine Ziegenkäse. Und dann war ich auch endlich wieder bei Jan Dirk, Irene und Peter van de Voort in Lunteren bei Utrecht, die aus der Milch ihrer wunderschönen Jerseykühe den Remeker entwickelt haben. All diese Käse und ihre Geschichten haben wir bei diesem Heinzelcheesetalk zusammen erschmeckt und dabei den Zusammenhängen nachgespürt, zwischen Landschaft, Tieren, Menschen, dem großen Kosmos Welt und dem kleinen Kosmos Käse.
Im Glas ging es ebenfalls um Naturnähe und -verbundenheit, als Auftakt gleich mit dem Rosé-Sekt (eigentlich in diesem Fall Orange) von steirischem Weingut Strohmeier, aus Blauem Wildbacher. Ihr brauchtet einen Moment, um Euch in dieser für manche ungewohnten Weinwelt mit Gerbstoffen im Weißwein zurechtzufinden, aber dann leerten sich die Flaschen doch ziemlich schnell ;-)
Junger Herrenkäse und gereifter Findling von Marienhöhe waren jedenfalls ihrerseits ziemlich begeistert vom Sekt und auch dem folgenden ungeschwefelten, unfiltrierten 2013 Riesling von Hubert Lay vom Kaiserstuhl, der sehr harmonisch gereift war. Wir redeten über Industrialisierung, Lebensreform und Anthroposophie, die Balance zwischen den Dingen und der Welt…
Vom Remeker hatte ich alle vier Reifestufen mitgebracht: Pril (holländisch für zart, drei Monate, wie feinster Buttermürbteig und sämig schmelzend), Ryp (genau: reif, acht Monate, allmählich ins Käsestadium übergehend, etwas fester in der Konsistenz), Olde (alt, zwölf Monate, mit ersten Kristallen und jetzt in der Balance zwischen buttriger Üppigkeit und Reifewürze) und schließlich der wahrhaftig prächtige Pracht, 18 Monate, immer noch mürbe, aber auch brechend, mit Kristallen und einer großartigen Umamiwürze, so daß die bei zwangsschnellgereiftem Fabrikgouda oft so aufdringliche Süße hier ganz eingebunden war.
Im Glas vereinte 2014 Fleur de Savagnin „en chalasse“ der Domaine Labet im Jura gleichermaßen mineralische Töne mit Trauben-(Traminer)Frucht. Der Semplicemente Vino Bianco aus Cortese von Stefano Bellotti aus dem Piemont (ja, doch, nicht Ligurien, wie ich mit schlechtem, käseabgelenktem Gedächtnis und ohne Brille irrtümlich meinte) brachte neben Bienenwachs und Zitruszeste ein bißchen mehr Alkohol ins Spiel, und das gefiel auch. Die mysteriöse Flasche ohne Etikett war der Vino Blanco „orange“ der Bodega Cueva von Mariano Taberner aus der Nähe von Valencia in Spanien, aus den Sorten Tardana und Macabeo. Er vertrug sich bestens mit dem sehr feinen Machedoux, einem Ziegenweichkäse mit weißem Schimmel (und wie alle Käse an diesem Abend aus Rohmilch) von De Oude Streek nördlich von Rotterdam, wo Hanneke Kuppens knapp 40 Ziegen melkt (ich habe einen zweiten Käse von ihr probiert, den crottin-artigen Machetin – ebenfalls hervorragend – aber wie könnte es anders sein, wenn Jan Dirk dies als den besten Ziegenhof der Niederlande bezeichnet). Ganz anders dann die Blühenden Landschaften vom Capriolenhof, voller Aromen der Schorfheide-Landschaft, die die Herde tatkräftig beweidet und damit in Schuss hält.
Weiniger Höhepunkt (und so beeindruckend, daß wir alle einstimmig danach keinen mehr wollten, um diese Eindrücke möglichst lange anhalten zu lassen): 15 Jahre im großen Holzfass gelagerter Grüner Veltliner vom Nikolaihof der Familie Saahs in der Wachau, die 1991 Vinothek-Abfüllung. Der machte im Glas immer weiter auf, war nicht fruchtig und auch nicht firn, sondern balsamisch, mit feinen Tabaknoten, und Kräutern, und und und… Genau richtig, um unser Gespräch über Kuhhörner, Mist und Kräuterpräparate sinken zu lassen. Die Familie Saahs ist lange sehr belächelt worden, weil sie seit Anfang der 1970-er Jahre ziemlich konsequent biodynamisch arbeiten. Doch wie nicht zuletzt dieser Wein zeigte: wer die Spinner sind, das kommt immer auf den Standpunkt an. Danke für Eure Offenheit. Wer mehr von mir zum Thema Naturkäse (angelehnt an Naturwein) lesen möchte, besorgt sich die Zeitschrift Effilee #40, Seite 65.
HeinzelCheeseTalks finden rund einmal im Monat an einem Freitag um 18h in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg statt, an dem langen Tisch gegenüber vom Suff-Weinstand. Ich bringe spannende Käse mit, öffne ein paar Flaschen Wein, wir verkosten, reden, diskutieren, alles ganz entspannt (und größtenteils auf deutsch – obgleich wir es im allgemeinen auch schaffen, den einen oder anderen auf englisch “mitzunehmen”). Die Einladung geht etwa zehn Tage vorher an eine Mailingliste, die fünfzehn Plätze am Tisch werden auf Reservierung per Email vergeben, die meinerseits am Montag vor dem HeinzelCheeseTalk schriftlich bestätigt wird. Ich freue mich über einen freiwilligen Kostenbeitrag von zwölf Euro pro Käsegenießer, wenn’s extra viel Spaß gemacht hat, dürfen es auch ein oder zwei Euro mehr sein… cheesio!