Da ist es also, 2017… Bis jetzt scheinbar nicht soviel anders als sein Vorläufer. Aber mehr Farbe kann auf keinen Fall schaden! Deshalb war bei diesem ersten HeinzelCheeseTalk des Jahres Farbe unser Thema, Farbe im Käse. Weiß, kremfarben, hell- bis sonnengelb und schließlich: leuchtend orange. Wie kommt das zustande? Milch ist schließlich weiß…
Eine der Antworten auf diese Frage heißt Karotin – aber das kann ganz unterschiedliche Ursprünge haben! Mikroben, Gras und Kräuter, Karotten und Annatto heißen die vier wichtigsten, und die (beziehungsweise entsprechende Käse) haben wir zusammen mit allen Sinnen inspiziert.
Abgesehen, daß Milch selbst grünliche (in der Molke) und gelbliche (im Fett) Farbstoffe enthält, die im Käse je nach Tierart und Methode unterschiedlich zur Geltung kommen, versucht man bereits seit Jahrhunderten, mit anderen Zusätzen die Farbunterschiede zwischen karotinreicher, gelber Sommer- und blasser Wintermilch in Käse und Butter auszugleichen. Handelsübliche Supermarktbutter wird heute standardmäßig mit Beta-Karotin auf ein Einheitsgelb eingestellt. Während bei handwerklichen Käsen durch sorgfältige Pflege während der Reifung Rotschmierkultur wie Brevibactrium linens für eine gelborange Rinde sorgen (und intensive Aromen), nutzen die größeren Produzenten ebenfalls die Abkürzung Beta-Karotin (und Paprika-Extrakt), um ihre Käse zum Leuchten zu bringen. Vier solche Käse demonstrierten aber, daß die Farbe hier nur kosmetische Tünche war, der Geschmack war entweder überaus salzig (Chaumes), wenig komplex (Rubius St Mang) oder vollkommen, beinahe unangenehm neutral (Elsässer Winzerkäse). Ein Roucoulons der Fromagerie Milleret spielte im Namen mit Roucou, deklarierte trotzdem stolz „sans colorant“, ohne Farbstoff, schmeckte aber aufgrund von Überreife leider sehr bitter.
Zum Vergleich folgte die „echte Ware“, Epoisses de Bourgogne, dann Langres aus der Champagne. Letzterer mit Annatto-gefärbter Rinde, erstes Beispiel des Abends für einen Käse, bei das Färben längst zum Wesen gehört. Ich hatte Annatto-Samen mitgebracht, die von einem zentralamerikanischen Strauch stammen. Bereits die Mayas nutzten Annatto für kosmetische Zwecke, Mexikaner bereiten heute die Recado Rojo damit, eine hochrote Gewürzpaste. Der in Annatto (spanisch achiote, auf deutsch auch Orleans, französisch roucou) darin enthaltene Farbstoff, eigentlich zwei Karotinoide, verbindet sich mit dem Milchfett und -eiweiß und ist so intensiv, daß sich die benötigten Mengen geschmacklich nicht bemerkbar machen (bei den Inhaltsangaben ist Annatto als E160b deklariert).
Wir schoben aus Neugier und zu Recherchezwecken einen zart-orangen veganen „bedda schedda“ ein, eigentlich ein sogenannter Analogkäse aus Wasser, Stärke, Kokosöl und Aroma, laut Produzent „herrlich kremig und zart im Schmelz“ – Ihr wart einstimmig anderer Meinung. Eine einfache Standardqualität orange Cheddar schmeckte danach wirklich richtig solide und gut.
Danach: Möhrenlaibchen. Das Original vom Dottenfelder Hof in Bad Vilbel bei Frankfurt, dem der Zusatz von 1% Möhrensaft der fantastischen Sorte Rodelika zu einem blassen aber warmen Orange verhilft. Ein ganz leiser, zarter Käse, der trotzdem viel Charakter hat. Es folgte dreimal annatto-gefärbt: Red Leicester, ähnlich wie Cheddar, aber süßlicher; gereifter Mimolette, der trotz Hartkäse-Anmutung wie Konfekt auf der Zunge schmilzt (und in den Niederlanden ungefärbt und mit Coating ein ganz anderes Leben führt), und schließlich der an Stilton erinnernde Shropshire Blue.
Auch im Glas tendierten wir in Richtung orange ;-). Zum Auftakt der PetNat 2014/Vol 2 von Fuchs und Hase aus dem Kamptal, muskatellerduftig und veltlinerwürzig und einfach super gut, dann (ebenso gut, aber viel schlanker und verschlossener) 2015 Silvaner Steillage Muschelkalk von Stephan Kraemer aus dem fränkischen Taubertal. Danach: Savagnin (aka Traminer) aus dem Jura, der 2014 En Quatre Vis von der Domaine des Marnes Blanches, ebenfalls fein und schlank. Eher auf Frucht und eingängige Geradlinigkeit setzte der 2015 Weißburgunder „Das Ende der Fahnenstange“ von Stefan Dorst und Consorten) aus der Südpfalz. Der superfrische Fino-Sherry von Luis Caballero/Pavon aus El Puerto de Santa Maria (danke Wernher!) war ein radikaler Schwenk in Sachen Weinstilistik, erwies sich aber als ebenso käse-affin wie der 2013 Ribolla Gialla von Stefano Novello/Ronco Severo aus dem östlichen Friaul, direkt an der slowenischen Grenze (danke Wolfgang!). Der war ein echter Orange-Wein, nämlich auf den Schalen vergoren, stoffig und voller wunderbarer Bananenschalen- und Orangenaromen. Schließlich rief das Blau im Käse noch nach Süßem im Glas, was aus dem mit dem Jurançon von Château Jolys aus dem Suff-Regal bestens umgesetzt werden konnte.
Und die Moral von der Geschichte: Farbe kann Licht ins Leben bringen oder falsche Tatsachen vortäuschen, ist also zwangsläufig weder gut noch böse. Wie so vieles im Leben – cheesio!
HeinzelCheeseTalks finden rund einmal im Monat an einem Freitag um 18h in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg statt, an dem langen Tisch gegenüber vom Suff-Weinstand. Ich bringe spannende Käse mit, öffne ein paar Flaschen Wein, wir verkosten, reden, diskutieren, alles ganz entspannt (und größtenteils auf deutsch – obgleich wir es im allgemeinen auch schaffen, den einen oder anderen auf englisch “mitzunehmen”).
Die Einladung geht etwa zehn Tage vorher an eine Mailingliste, die fünfzehn Plätze am Tisch werden auf Reservierung per Email vergeben, die meinerseits am Montag vor dem HeinzelCheeseTalk schriftlich bestätigt wird. Ich freue mich über einen freiwilligen Kostenbeitrag von zwölf Euro pro Käsegenießer, wenn’s extra viel Spaß gemacht hat, dürfen es auch ein oder zwei Euro mehr sein… cheesio!