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Beinahe zwei Jahre gereift, dicht und brüchig, aber alles andere als trocken, die harte, bröckelnde Dichte schmilzt zu einer wunderbar fruchtigen, karamelligen Süße, herzhaft und lieblich zugleich, Käse und Dessert, wie ein üppiger Milchreis (aber besser)… der Cironé ist ein Neuzugang in den Käsetheken, doch in seinem Wesen eigentlich ein Urklassiker. Eine Handvoll Milchbauern in den kleinen Seitentälern des Emmental östlich von Bern, auf um die 1000 Meter Höhe, tun sich zusammen, liefern an eine Käserei (nein, ich wußte auch nicht, wo Zäziwil ist ;), die die unbehandelte Milch zu 6,5 Kilo leichten (im traditionellen Kontext dieser Region, denkt an Emmentaler!) runden Laiben Hartkäse verarbeitet, die im Keller regelmäßig geschmiert werden und mehrere Monate reifen.
Doch dann wird es speziell, denn die Eyweider Käser arbeiten im Verbund mit Jumi, die sich 2005 als sechs käseverrückte Teilhaber zusammengeschlossen haben. Es sind unerschrockene Neudenker, die die seit Abschaffung der Schweizer Käseunion entstandenen Freiräume in Anspruch nehmen. Die schrieb wenige, bekannte Sorten vor, während nun alles möglich ist, wie etwa auch Willi Schmid im Toggenburg demonstriert. „Begriffe wie Tradition und Kreation“, sagen sie, „sind relativ“. Wohl wahr. „Alles war schon mal da, es ändert sich lediglich der Blickwinkel.“
Beim Cironé (unten die Jumi-Darstellung) sind sie noch einen Schritt weitergegangen und haben einen der Urfeinde (beinahe) aller Käsereien zum Verbündeten gemacht: die Käsemilbe, französisch ciron. Denn nach 12 Monaten Schmieren und Pflegen in einem ersten „klassischen“ Keller ziehen die Laibe in den nächsten um. Hier dürfen, sollen die Milben sich ans Werk machen. Von diesen allgegenwärtigen Kleinstlebewesen (bis zu 2000 auf einen Kubikzentimeter Käse) gibt es 10.000 Arten weltweit, Tyrolichus casei sind die käseliebenden unter ihnen. Sobald eine Rinde vernachlässigt wird und etwas austrocknet, sind sie verläßlich zur Stelle und schlagen sich die winzigen Bäuche voll, fressen Gruben und Krater. Ergebnis aus Käsersicht: immer weniger Käse, krümeliger Staub auf den Regalen als Hinterlassenschaft der Orgie. Traditionelle Reaktion auf diese „Vorratsschädlinge“: sich ärgern, aussortieren, bekämpfen, klassisch in letzter Instanz (ich zitiere einen Fachbuchklassiker) durch „Ausräuchern der Räume mit Methylbromid“. Das ist ein natürlicher Abwehrstoff, den eine Reihe von Meeresbewohnern, aber auch Kohlpflanzen wie der Raps zu ihrem Schutz einsetzen, ein zur Schädlingsbekämpfung nicht unübliches Nervengift.
Alternative der Jumis (oder in Wachwitz, oder beim Mimolette): Schädlinge als Nützlinge erkennen und gezielt einsetzen. Sie ein bißchen fressen lassen, so daß der Käse es luftiger hat und ganz anders weiterreift, nämlich charakteristische zitrusfruchtige Aromen bildet. Und nach etwa einem halben Jahr die kleinen weißen Verbündeten wieder in die Schranken weisen, wenn die Laibe in einen dritten Keller kommen und mit Öl eingerieben, regelmäßig gewendet und noch einige Monate weitergereift werden. Dabei entsteht die wachsig anmutende, an Schokolade erinnernde Rinde.
Sehr fein, sehr cool, sehr nach vorne gedacht: zusammenarbeiten, mit- statt gegeneinander. Ohne Gift. Gutes Lebensmotto allgemein – cheesio.
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