Heinzelwein-Dreier für den Juli 2021: Dreimal Gunderloch, Mikrobiome und Helgoland

Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.

Guter Wein wächst im Weinberg, sind sich die Winzer sicher. Jeder denkt an reife Trauben, geprägt von den Standortfaktoren, dem Terroir. Aber welche Rolle spielen die Mikroorganismen aus dem Weinberg und ihr Einfluß bei der Spontangärung der Weine? Gibt es neben dem Terroir der Trauben auch eines der Hefen und Bakterien?

Das sprang mir neulich als Einleitung zu einem Artikel im Journal Culinaire ins Auge, in dem Önologie-Experte Ulrich Fischer über Mikroorganismen und Terroirprägung schreibt. Meine spontane Reaktion: natürlich, was für eine überflüssige Frage! Es erscheint mir vollkommen logisch, daß zum Standortfaktor selbstverständlich auch die Mikroorganismen gehören und diese unter anderem und in vielfältiger Weise auch die Gärung beeinflussen. Das tatsächlich wissenschaftlich zu beweisen scheint allerdings aufwendig. Also muß zuerst mal Wein ins Glas, außerdem wollte ich darüber mit einem Winzer sprechen, der sich damit ziemlich intensiv auseinander setzt, Johannes Hasselbach vom Weingut Gunderloch in Nackenheim am Rhein.

Das ist nicht nur ein sehr alter, traditionsreicher Betrieb (Johannes führt ihn in der sechsten Generation), sondern war auch immer wieder ein innovativer, und ich war dort das erste Mal zur Weinprobe 1992, während meines Studiums an der Sommelierschule in Heidelberg, als Agnes und Fritz Hasselbach noch unermüdlich gegen das gründlich ramponierte Rheinhessen-Image ankämpfen mußten. Viel hat sich geändert seitdem, Rheinhessen ist längst ganz vorne mit dabei, und im Weinberg muß man nicht mehr um reife Trauben bangen, sondern sich vielmehr wegen der Klimaerwärmung „vor Überreife schützen“, wie Johannes es ausdrückt.

Das gelingt ihm ausgesprochen gut: selbst in einem warmen Jahr wie 2020 liegen seine Weine bei elf bis maximal 12,5vol% Alkohol, sind feingliedrig und geschliffen, ganz herb und doch voller Würze aus der außergewöhnlichen Konstellation des Roten Hangs. Ich habe hier drei trockene Weine herausgestellt, aber eigentlich könnt Ihr blind bestellen. Der 2016 Rothenberg Riesling Großes Gewächs ist einfach der Gunderloch-Haus- und Herzensberg, voller Eleganz, Schönheit und Intelligenz, transparent, kraftvoll und am Anfang einer langen Entwicklung… der 2018 Nackenheim Silvaner ist ein Ausnahmewein (es gibt noch einige wenige Flaschen), ebenfalls aus dem Rothenberg, superschlank und floral, beinahe ätherisch und doch ebenso stark von diesen trockenen eisenhaltigen Böden direkt am Rhein geprägt. Und schließlich der 2020 Riesling Als wär’s ein Stück von mir, den Johannes als seine „Eintrittskarte“ ins elterliche Weingut beschreibt, an dem sich der BWL-Student als Quereinsteiger austoben und ausprobieren konnte und kann.

Es stellte sich heraus, daß die von Ulrich Fischer erwähnte Studie microwine.eu von dem finnischen Doktoranden Kimmo Siren betreut wird, der 2015 als Praktikant bei Gunderloch war und bei dem laufenden Projekt mithalf, Trauben direkt im Weinberg in Glasballons zu vergären, also ohne Einflüsse von im Keller ansässigen Hefen, und diesen gärenden Wein dann zum Most in den alten Holzfässern zu geben. Das funktioniert ausgesprochen gut, Johannes sagt, die Weine seien auf positive Weise leichter und ruhten mehr in sich: „Die Lage bekommt die Freiheit sich ganz zu zeigen.“ Er habe seitdem auch keinerlei Gärprobleme mehr, es sei aber wichtig, daß den Mikroorganismen aus dem Weinberg keine Konkurrenz in Form von Reinzuchthefen entstünde. Was alles von den in Ulrich Fischers Artikel ausführlich beschriebenen Experimenten und Studien bestätigt wird:

Es konnten erste Nachweise vorgelegt werden, daß die regionalen Mikrobiome tatsächlich zu sensorischen Unterschieden beitragen, die mit signifikanten Variationen in der Aromastoffzusammensetzung korrespondieren.

Und was hat das jetzt mit Helgoland zu tun? So heißt das neueste Buch des italienischen Physikers Carlo Rovelli, dessen Forschungsgebiet die Quantenmechanik ist, deren Grundlagen von Werner Heisenberg im Juni 1925 auf Helgoland geschaffen wurden. Nein, ich maße mir hier keinesfalls an, diese auch nur ansatzweise wirklich zu verstehen, aber Rovelli kann so gut schreiben und erklären, daß ich mir zumindest klar, wieviel um und in uns außerhalb unserer Wahrnehmung liegt.

At our scale, the world is like the wave-agitated surface of the ocean seen from the moon: the smooth surface of a blue marble. […] The solidity of the classical vision of the world is nothing other than our own myopia. […] We navigate in an uncertain sea of colours and have at our disposal good maps with which to orientate ourselves. But between our mental maps and reality there is the same distance as between the charts of sailors and the fury of the waves crashing against the cliffs, where the gulls hover and cry. That fragile web, our mental organization, is little more than a clumsy tool for navigating through the infinite mysteries of this magical light-flooded kaleidoscope in which we are amazed to exist and that we call our world. We can traverse is unquestioningly, with faith in the maps that we have […or try] to understand together a few more grans of truth, to pick the mariners‘ chart again and contribute to improving a bit of it. Once again, to rethink Nature.

Wie Johannes mit seinen Weinen.

Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen (in diesem Fall drei), und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedicht- oder Musikform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein und Worten begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: die Weine gibt es hier, das Journal Culinaire hier und das Buch von Carlo Rovelli hier (auf englisch, ab Ende Oktober auf deutsch). Trinken, schmecken, lesen, denken, leben müßt Ihr wie immer selbst – keep safe.

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