Heinzelwein-Dreier für den Mai 2021: Beschwingte rote Energie im Glas und feministisch-mütterliche Gedanken

Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.

Draußen wogen junges Grün und Blüten zwischen Hagelsturm und Sonnenwonne, der Frühling hat den Frost immer noch nicht hinter sich gelassen und ruft doch schon nach T-Shirt und Sandalen. Ich mag dieses Schwingen zwischen den Polen, das Sichstrecken in viele Richtungen, es birgt soviel mehr Energie in sich als die lethargische Glut des Hochsommers. Für mich passen dazu ganz besonders transparente, tanzende Rotweine, die mir wie eine Fortsetzung oder ein fließender Übergang der Orange-Weine erscheinen. Sie sind zurückhaltend in den Tanninen aber doch herb, voller Farbe und dabei durchscheinend, mit Frucht- und Blütenaromen, die in steinig-erdige Töne übergehen. Auch von der Temperatur her fühlen sie sich am wohlsten zwischen richtig warm und richtig kalt.

Zoli Heimanns 2019 Kadarka aus Szekszárd in Südungarn gehört zu meinen gegenwärtigen Favoriten, steckt voller Lebensmut und Zuversicht ohne die Hürden zu verhehlen, die es dabei immer wieder zu überwinden gilt. Zoli nennt seine Weine Nichtsmacherweine – aber das ist natürlich bescheidene Tiefstapelei, schon seine Eltern haben an besserem Rebmaterial für diese durch und durch ungarische Rebsorte gearbeitet, die anspruchsvoll ist, weil sie unregelmäßig reift und botrytisanfällig ist – und im Glas so viel Vergnügen bereiten kann. 

Das gilt auch für den 2019 Beaujolais von Château du Grand Pré, dem „kleinsten“ Wein von Romain Zordan aus Fleurie im Süden des Burgund. Hier ist es die Rebsorte Gamay, die rote Kirschen mit Bananenschale auf Granitboden tanzen läßt (und ja, das meine ich positiv!), und ich mag auch hier gerade und besonders die gänzlich unprätentiöse Art des Weins, der einfach er selbst ist.

Dazu wollte ich Euch nun eigentlich das Flamingo-Gedicht von Rainer Maria Rilke an die denkende Seele legen – doch das muß warten. Denn an diesem ersten Mai liegt anderes in der Luft, das mir dringender scheint, auf den ersten Blick vielleicht nicht zwingend zu den Weinen passend, aber doch tatsächlich zu allem passend: Gedanken zum Muttersein von Adrienne Rich, der amerikanischen Dichterin und Feministin. Sie hat diesen Vortrag 1978 (vor über 40 Jahren – und so wenig hat sich geändert) auf einer Konferenz in Ohio gehalten, und er ist in dem sehr empfehlenswerten Band On Lies, Secrets, and Silence abgedruckt. Ich zitiere hier nur wenige Sätze, hoffe aber, daß Ihr Euch die Zeit nehmt (mit einem Glas Wein ;) ihn in seiner Gesamtheit zu lesen. Denn letztendlich geht es darum, jedem Menschen (und jedem Wein) das Recht und die Möglichkeit zuzugestehen, ganz sie selbst zu sein.

„What we need, in any case, as women, is not experts on our lives, but the opportunity and the validation to name and describe the truths of our lives, as we have known them. Whatever you hear from me […] remember that it is your own sense of urgency, your own memories, needs, questions, and hopes, your own painfully gathered knowledge of daughterhood and motherhood, which you must above all trust. […] Historically, cross-culturally, a woman’s status as childbearer has been the test of her womanhood. Through motherhood, every woman has been defined from outside herself: mother, matriarch, matron, spinster, barren, old maid – listen to the history of emotional timbre that hangs about each of these words. Even by default motherhood has been an enforced identity for women, while the phrases „childless man“ and „nonfather“ sound absurd and irrelevant to us.“

Aus: Motherhood: The Contemporary Emergency and the Quantum Leap. Hier ist der gesamte Text.

Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedicht- oder Musikform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein und Worten begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: den Kadarka gibt es hier, den Beaujolais hier und On Lies, Secrets, and Silence von Adrienne Rich hier. Trinken, schmecken, lesen, denken, leben – schwingen! – müßt Ihr wie immer selbst – keep safe.

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