Heinzelwein-Dreier im März 2020: Wach. Und (un)ruhig. Und grau, aber hell.

Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.

Nein, es soll hier nicht ums Wetter gehen, und auch nicht um die Gesundheit. Eigentlich wollte ich aus Paris schreiben, den guten alten Macho Hemingway in seinen noch jugendlichen Jahren mit seiner uneingeschränkten Trinkfreudigkeit zu Wort kommen lassen, Euch entsprechende Weine ans bacchusgeneigte Herz legen… Aber nein. Paßt nicht. Die Stimmung ist anders. Das herrschende Grau ist nicht das des Pariser Frühlingshimmels, sondern eines, das sich gerade versucht, in unsere sowieso schon belasteten Seelen zu schleichen und Panik zu verbreiten.

Deshalb: Wir brauchen Weine, die uns wachhalten und zugleich beruhigen, hell und dunkel vereinen, Weine, die die Seele stärken! Der erste kommt aus dem Elsaß (ja, das ist zwar nicht gerade hip, aber trotzdem gut), aus der dort inzwischen nahezu seltenen Sorte Silvaner, der Bollenberg von Valentin Zusslin aus Orschwihr. Dichter, würziger Stoff aus 2014, also wunderbar zur Ruhe gekommen, mit einer mineralischen Tiefe, die einen immer wieder zum Glas zieht (das nicht zu klein sein sollte), und sich mit aller Art von Gemüse und auch Käse bestens verträgt (und soviel anderem…). Der zweite ist am Mittelmeer gewachsen, genauer gesagt in Gargano, im nördlichen Apulien. Der 2018 Cosìcomè von Valentina Passalacqua ist so orange wie das Bäckchen einer reifen Aprikose und erinnert auch im Aroma daran, setzt dem aber aufgrund von vier Tagen Mazeration der Trauben eine großartig herbe Seite entgegen. Die Greco di Tufo-Reben übersetzen die weißen Kalkkreideböden und den blauen Himmel ins Glas – und erzählen uns doch auch von der Härte des Lebens im Süden.

Denn ein blauer Himmel hat auch etwas Unerbittliches, die Sonne ist selbst in unseren Breitengraden längst nicht mehr nur eitel Schein… Kurzum: wir müssen neu übers Grau nachdenken! Im Buchladen des beeindruckenden historischen Museums „Mücem“ am alten Hafen in Marseille (wo ich vor Paris war), fiel mir (bei strahlendblauem Himmel ;) ein schmaler Band in die Hände: Couleurs de l’Invisible, Farben des Unsichtbaren, Gedichte und kurze Texte der französischen Autorin und Philosophin Sylvie Germain, mit Zeichnungen von Rachid Koraïchi, einem algerischen Künstler.

Hier sind Auszüge aus dem ersten Kapitel, Gris, Grau:

Gris, en marge des couleurs. Gris des confins,
du seuil –
où terre et ciel
chair et océan
s’effleurent, se pénètrent.

Des vents parfois se lèvent,
montés de l’extrême orient de notre être.
Ils feulent dans les broussailles de notre coeur,
dans les gouffres zigzaguant à fleur de nos pensées.

Des vents gris
brassant l’obscur et la lumière…
Ils soufflent sur la poussière
des immenses jadis ensommeillés dans notre chair,
notre sang,
et ravivent quelques braises, ici ou là.
Puis se retirent,
nous laissant nus, transis
d’étonnement pur.
Alors nous nous tenons debout,
comme un point d’exclamation
vibrant dans l’éclat gris du vide.

Das graue Strahlen der Leere, das reine Staunen, die grauen Winde, die in den Abgründen unseres Herzen wühlen… à bientôt, mes amis.

Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedichtform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: den Sylvaner könnt Ihr hier kaufen bzw. bestellen, den Cosìcomè gibt es hier, und die Couleurs de l’Invisible hier. Trinken, schauen, schmecken, denken, leben müßt Ihr wie immer selbst.

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2 Gedanken zu „Heinzelwein-Dreier im März 2020: Wach. Und (un)ruhig. Und grau, aber hell.“

  1. Liebe Heinzel ,-)

    Danke, dass Sie dieses Mal einen elsässischen Wein vorstellen, verbringen wir dort doch im Juli immer unseren Urlaub und sind richtige Elsass-Fans.

    In und um Orschwihr sind wir letztes Jahr gewandert, im Anschluss habe ich Wein gekauft, allerdings beim Weingut Jean-Bernard Ziegler, wobei der Pinot Noir aus dem Jahr 2016 zwar gut, aber nicht der Beste des Elsass ist. Die Flasche aus 2018 lasse ich noch etwas liegen.

    Orschwihr gehört zu den schönen Weinorten, die von den Touristen weitgehend links liegen gelassen werden.

    Letztes Jahr lag der Schwerpunkt meiner Weinkäufe auf Pinot Noir. Der beste Winzer im Elsass bislang ist Paul Schneider aus Éguisheim. Außerdem ist der Noir de Katz aus Katzenthal sehr zu empfehlen, den ich bisher aber nur im Restaurant bestellt habe.

    Zu Valentin Zusslin zu gehen, nehme ich mir für dieses Jahr vor.

    Liebe Grüße

    Andreas Heinz

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