Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.
Jetzt mal ehrlich: schon mal von Ortrugo gehört? Ich nicht, jedenfalls bis neulich Abend. Kam beim Sommelierdiplom garantiert nicht vor. Obgleich wir damals tatsächlich dachten, man könne alles über Wein wissen. Es gab sogar eine Zeitschrift, die so hieß. Die Weinwelt war aus britischer Händlersicht sortiert, was in London nicht getrunken wurde, existierte kaum. Die „edlen“ Rebsorten von Riesling über Pinot Noir/Spätburgunder, Chardonnay und Sauvignon Blanc bis hin zu Cabernet und Merlot gaben den Ton an, wer als Winzer etwas gelten wollte, pflanzte dementsprechend fortschrittlich und „modern“.
Heute läuft all das unter „internationale Sorten“ und sorgt in vielen (nicht allen, und selten beim Riesling!) für langweilige Einheitsplörre. Denn wir haben glücklicherweise gerade noch rechtzeitig und nicht zuletzt dank der Naturweinbewegung die einheimischen, autochthonen, ursprünglichen Rebsorten wieder entdeckt, bevor sie dem „Fortschritt“ gänzlich zum Opfer fielen. Jene, die sich wie alte Landrassen bei Rindern, Schweinen, Hühnern an bestimmte Landschaften und die dortigen Bedingungen in einem Fine-Tuning angepaßt haben, das oftmals über Jahrhunderte zurückreicht und eng verbunden ist mit den überlieferten Methoden des An- und Ausbaus, der Trinkgewohnheiten, des Lebensrhythmus.
Nun kommt mit dem Lokalen auch seine Kehrseite: wer fest an einem Ort verwurzelt ist, gilt an vielen anderen als anders und fremd, ist „woanders“auf Neugier und die Lust aufs andere der anderen angewiesen, um nicht abgewiesen zu werden… Ortrugo heißt „der andere“ im Dialekt der Colli Piacentini südlich von Piacenza in der Emilia-Romagna (ja, genau, da wo Parmaschinken und Parmesan zuhause sind). Dort ist er lange der „andere“ neben dem bis in die 1980er dominanten Malvasia gewesen. Bis sich ein paar Winzer seiner angenommen haben, so daß er mir in Form des 2018 Lubigo von Croci begegnen konnte (danke Florian!): ein wunderbar erfrischender, herber, schlanker und doch alles andere als harter oder saurer Naturschäumer. Großartig zu herbstlichen Salaten…
Und gleich darauf stellte ein spanischer Roter (danke Wernher!) die Frage noch viel direkter: Y tú de quién eres? Und du, von wem kommst du? Zu welcher Familie gehörst du, wo stecke ich dich hin? Es ist ein feiner, beinahe zarter, transparenter Wein aus einer Vielzahl alter, im Inneren Spaniens heimischen roter Sorten: Bobal, Marisancho, Teta de Vacca, Pedro Juan, Moravia Agria, Moravia Dulce, Cegivera, Royal, Valencin, Albillo… Ich weiß weder viel über diese Rebsorten noch über das Weingut, Bodegas Gratias, ein relativ junges Projekt von einer Gruppe von befreundeten Sommeliers in Manchuela. Ihr 2018 Y tú de quién eres? ist wie die Herbstluft, kalt und warm zugleich, mit einer Ahnung von Kaminfeuer…
Wo gehören wir hin? Wo gehen wir hin? Wo sind wir zuhause? Dazu fällt mir Patti Smith ein, die große, großartige amerikanische Rocksängerin, Dichterin, Denkerin, Fotografin. Ihr neuestes Buch heißt Year of the Monkey, das Jahr des Affen. Ich fasse das jetzt hier nicht zusammen (selber lesen, in Ruhe, langsam), sondern zitiere nur ein paar Sätze.
I could feel the gravitational pull of home, which when I’m home too long becomes the gravitational pull of somewhere else…
Nothing is ever solved. Solving is an illusion. There are moments of spontaneous brightness, when the mind appears emancipated, but that is mere epiphany…
Yet still I keep thinking that something wonderful is about to happen. Maybe tomorrow. A tomorrow following a whole succession of tomorrows…
Seid, bleibt offen fürs andere und das, was heute ist und morgen kommt – und genießt den Herbst, mit allem Dunkel und Hell!
Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedichtform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: den Ortrugo bzw. Lubigo von Croci gibt es in Berlin zum Beispiel hier, den Y tú de quien eres? von Gratias hier, und hier bekommt Ihr The Year of the Monkey. Trinken, lesen, schmecken, denken, leben müßt Ihr wie immer selbst.