Am 13. und 14. Mai fand in der Markthalle Neun wieder Isabelle Légérons RAW Wine statt, bei der Naturweinerzeuger aus der ganzen Welt zusammen kommen. Raw wine, raw cheese, zum Naturwein gehört Naturkäse – logisch, oder? Aus unbehandelter, roher Milch, klar. Doch genausowenig wie Naturwein richtig definiert ist, sich definieren läßt, sind auch beim Käse die Grenzen fließend zwischen Natur und Kultur. Zuviel Natur, und die Milch verwandelt sich in ein wildes, vielleicht auch ekliges Monster, zuviel Kultur und wir sehen uns mit monotoner Langeweile konfrontiert. Woran hangelt sich die Balance dazwischen entlang? Was kann und soll alles passieren zwischen Euter und Käsebrett? Warum Rohmilch?
Damit setzten wir uns in diesem Heinzelcheesetalk anhand einer Reihe von praktischen Verkostungsbeispielen in mehr oder weniger kultivierter Form auseinander. Und beschäftigten uns natürlich auch damit, ob und wie Naturweine dem Käse anders begegnen als konventionelle (bravere?) Weine (zum Bild links: „Ost“ heißt Käse).
Wir begannen mit Lambrusco, dem Ortigara von Roberto Maestri mit seiner großartig herben Sauerkirschfrucht, und dem Tymsboro von Mary Holbrook, Ziegenkäse aus Somerset. Es folgte trockener Riesling, biodyn und Demeter-zertifiziert aus dem südwestlichen Rheinhessen, der golden leuchtende 2015 Vom Helle von Alexander Gysler, und dazu ein Schatz aus dem Heinzelcheese-Keller, der Alpe Loch von Richard und Emma Fuchs aus Hittisau im Bregenzerwald, vom Juli 2016. Die arbeiten mit eigenen Molkekulturen, eigenem Lab, viel Holz… mehr Natur und Terroir im Käse ist kaum vorstellbar! Beziehungsweise: weniger Kultur, und es wird ziemlich wild, wie bei dem griechischen Tyri tou Lakou, dem Käse aus der Grube, von der Kykladen-Insel Serifos, den mir Valli von Rises besorgt hatte.
Der maischevergorene 2016 Weißburgunder „ohne“ von Hareter aus dem „Weinland“ (zu der so ziemlich alles an Österreich gehört außer der Steiermark und Vorarlberg – konkret wächst dieser Weißburgunder auf den Schotterböden bei Gols am nördlichen Ende des Neusiedler Sees – und danke Markus!) nahm den wilden Oregano und die Käsereife jedoch sehr gelassen.
Dann nochmal ein Griff in die Käse-Schatzkiste und ein Ausflug ins östliche Masuren, mit dem Frontiera Blue aus fetter, gelber Jersey-Milch. Ebenfalls lange gereift, und doch super-elegant, zu dem ebenfalls maischegeprägten und noch tieferen Pinot Blanc von Birgit Braunstein, dem 2016 Birgit.Pur, ebenfalls vom Neusiedler See. Großes Kino, ganz raw und roh, ganz kultiviert.
Und damit ging es nach Portugal, in die Serra da Estrela, wo ich gerade drei Tage lang die Ursprünge dieses alten Schafsmilchkäses erkundet hatte. Bergweiden, alte Schafrassen, handgemolken, mit Distelblüten statt tierischem Lab dickgelegt. Unser Star kam von Maria Natália Lopes, konzentriert, buttrig, säuresingend, zum Reinlegen. Seit 40 Jahren macht sie jeden Tag Käse, zweimal täglich…
Die 2015 Scheurebe Savage von Nico Espenschied aus Flonheim/Rheinhessen tanzte sehr vergnügt mit ihrem Käse, weil er nicht nur eine ähnliche Säure und viele Zitrusfruchtaromen mitbrachte, sondern dank Maischevergärung und den daraus resultierenden Gerbstoffe auch der Schafsmilch-Üppigkeit auf Augenhöhe gegenüber treten konnte.
Wir verkosteten dann noch einen Serra das Estrela-Käse aus dem Supermarkt (auch gut, aber deutlich weniger komplex) mit dem wunderbar kräftigen 2016 Pilj aus Malvasia und Muscat von Tatjana & Mitja Butul aus Slowenien, und die Insider-Form des Serra da Estrela-Käse: ein Jahr gereift, ein Konzentrat an Landschaft und Würze, Natur und Kultur. Da war der außergewöhnliche, zwischen Süßwein und Essig (hervorragendem Essig!) schwebende 2014 „La Cosa“ von Alfredo Maestro in Kastilien-Léon aus Moscatel de Alejandria genau der richtige Abschluss… Umstritten, spannend, lebendig, waren Euch als Stichworte zu Rohmilchkäse eingefallen, und genau haben wir erlebt. Obrigado!
Und dann noch die bereits rituelle Frage zu dieser Jahreszeit: Wer möchte ganz aktiv und kreativ dabei mithelfen, die Käsewerkstatt beim StadtLandFood-Festival am ersten Oktoberwochenende und/oder die verschiedenen Aktivitäten bei der diesjährigen Cheese Berlin mitzugestalten (2.-5. November)?!? Das Heinzelcheese-Team freut sich über Freiwillige – meldet Euch. Käse, Wein und viel Spaß sind garantiert, es gibt einige neue Ideen… cheerio!
HeinzelCheeseTalks finden rund einmal im Monat an einem Freitag um 18h in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg statt, an dem langen Tisch gegenüber vom Suff-Weinstand. Ich bringe spannende Käse mit, öffne ein paar Flaschen Wein, zwei Stunden lang verkosten, reden, diskutieren wir, alles ganz entspannt (und größtenteils auf deutsch – obgleich wir es im allgemeinen auch schaffen, den einen oder anderen auf englisch “mitzunehmen”). Die Einladung geht etwa zehn Tage vorher an eine Mailingliste, die fünfzehn Plätze am Tisch werden auf Reservierung per Email vergeben, die meinerseits am Montag vor dem HeinzelCheeseTalk schriftlich bestätigt wird. Ich freue mich über einen freiwilligen Kostenbeitrag von zwölf Euro pro Käsegenießer (bar am Ende des Abends), wenn’s extra viel Spaß gemacht hat, dürfen es auch ein oder zwei Euro mehr sein… cheesio!