Heinzelnews im September 2023: Wild. Außerirdisch. Und eigentlich ganz nah.

Wenn Ihr das lest und die Heinzelnews noch nicht abonniert habt, könnt Ihr dies hier tun. For all those who had subscribed to an English version of any of my blogs: from now on I’ll be doing only this one monthly newsletter, in German, as there are so many, and very good, online translation apps. Thanks for your understanding!

Der Mond ist gerade trendy. Alle wollen auf einmal wieder hin… weil hier auf der guten alten Erde Chaos zu herrschen scheint, in welche Richtung man auch blickt? Wird auf dem Mond dann wohl auch bald nicht anders sein. Doch soll dies kein pessimistisches Geschreibsel werden; hilft nicht. Es geht vielmehr erstens um einen Käse, der das Gegenteil von Klimakillertierhaltung darstellt, zweitens einen „wilden“ Wein, der die Grenzen auslotet und neu definiert, und drittens ein Buch, das sich ebenfalls mit Grenzen auseinandersetzt, den menschlichen, den irdischen und in Folge: den außerirdischen.

Käse: das Thema der diesjährigen Slow Food Cheese in Bra/Piemont sind dieses Jahr die Weiden. Die binden nämlich mehr CO2 als jeder angeblich carbonprint-ausgleichend gepflanzte Baum, fördern außerdem die Artenvielfalt und nutzen im Idealfall landwirtschaftliche Rand-Flächen, die sich für den Ackerbau nicht eignen. Denn das ist das Geniale an Wiederkäuern: im Gegensatz zu uns Menschen sind sie in der Lage, sich mit reinem Rauhfutter (so heißt das Grün, ob frisch oder getrocknet) zu ernähren. Wirft man das alles in die klimapolitische Waagschale, ist das vielzitierte, beim Wiederkäuen entstehende Methangas ein – Entschuldigung – Pups. Es sind Wiederkäuer in Massentierhaltung und unter Mengendruck, die zusätzliches Eiweiß in Form von Kraftfutter (zum Beispiel Soja) brauchen. Will sagen: wir Menschen machen die Klimakiller und treffen an der Käsetheke wichtige Entscheidungen.

L’Etivaz aus dem Pays d’Enhaut im Waadtland im Westen der Schweiz darf nur im Sommer produziert werden, wenn die Kühe das üppige Grün der Bergweiden fressen, und er wird ohne große Technologie oder Hilfsstoffe hergestellt. Die großen Laibe reifen langsam, nach einem Jahr schmeckt man noch ganz deutlich die Süße der Milch und ihre Kräuterwürze einerseits und das zarte Raucharoma des offenen Holzfeuers unterm Käsekessel der kleinen Sommerkäsereien. Nach zwei Jahren hingegen hat sich alles auf ziemlich geniale Weise verbunden, ist aus dem Einfachen, aus wilder Natur, komplexe Kultur geworden. Sucht nach so einem gereiften L’Etivaz, fragt danach – und fragt nach anderen Käsen, die ohne Kraftfutter auskommen, wie etwa von der Hofgemeinschaft Heggelbach (eigentlich wollte ich an dieser Stelle einen zweiten Käse vorstellen, der auf „wilde“ Weise zurück zu den Wurzeln führt, nämlich Gamalost aus Norwegen. Aber das würde tatsächlich zu weit führen; den heben wir uns für ein anderes Mal auf).

Wein: da sind wir in Sachen „zurück zur Natur/was brauchen wir wirklich von all der Technik und den Mittelchen“ deutlich weiter als beim Käse. Ja, ich weiß, ich weiß, manche Naturweine sind ziemlich wild, vielleicht zu wild. Doch wer nicht die Grenzen auslotet, weiß nicht, wo sie liegen, wo Hier zu Ende ist und das Jenseits beginnt, ob das Außerirdische vielleicht neu definierte werden muß…

Für manche sind bereits ungewohnte Herkünfte „außerirdisch“ und haben daher schlechte Karten. Etwa Polen. Klingt im Zusammenhang mit Wein für die wenigsten richtig sexy, selbst jene, die viel Geld für angesagte Naturweine aus Frankreich oder Italien auszugeben bereit sind. Doch auch hier: Grenzen ausloten! Mir fiel neulich im Keller diese Flasche von der Weichsel in die Hände, von Dom Bliskowice, Dzik 2021. Dzik bedeutet Wildschwein, und Maciej Sondij, der das Weingut im Oktober 2008 zusammen mit Lech Mill aus dem Nichts gegründet hat, hat hier die Trauben einer Reihe weißer Piwisorten vier Wochen auf der Maische stehen lassen, abgepreßt, gelagert, abgefüllt und die Flaschen mit einem Etikett der polnischen Künstlerin Aga Głód versehen. Nix weiter. Daß der erste Jahrgang 2018 dann ausgerechnet Teil der Erstbestellung eines koreanischen Importeurs war, diese Flaschen also die ersten polnischen Weine in Südkorea überhaupt UND das zeitlich mit einer Mission der südkoreanischen Weltraumrakete Nuri zusammentraf – reiner Zufall. Dass der Wein wunderbar frisch und lebendig und zugleich herb und „erdverbunden“ schmeckt, an getrocknete Zitrusschalen und Rosenblätter erinnert, ist eher kein Zufall. Die Grenzen verschieben sich, dauernd.

Buch: ich lese eigentlich keine Sciencefictionbücher. Alles irre genug im wahren Leben… aber In Ascension von Martin MacInnes kommt auch gar nicht als solches daher. Sondern als (sehr realistischer) Roman, in dem eine junge niederländische Marinebiologin ungeahnte Tiefen des Meeres wahrhaft körperlich erlebt…

…outlines of animals burst in rapturous communication then disappeared again into the darkness; transparent cephalopods hung suspended in an immensity; bacterial symbionts draining and nourishing everything; archaea under it, at the heart of it, crawling, synthesising, stretching back, inexpressible return–
Blinding sunlight. Suddenly pulling off the mask, gulping wild oxygen, gasping and crying out. Drifting, hanging as star on the sea surface. The sky and sea exactly the same ultramarine. A sense of existing at great height, of exceeding something, of being close to the unlimited. Tears and laughter and saltwater rushing in. This immense, inexpressible happiness, every single memory at one.

(es gibt noch keine deutsche Ausgabe)

Später fliegt sie einer von drei Astronauten zur Oortschen Wolke und darüberhinaus und ergänzt während dieser Weltraum-Mission die mitgebrachte irdische Nahrung erfolgreich durch einen Algengarten an Bord des Raumschiffs. Das Buch ist ausgesprochen lesbar und läßt einen über alltägliche Dinge wie die Klimaveränderung, Demenz und häusliche Gewalt neu nachdenken; es verdeutlicht einmal mehr, daß wir nicht auf der Erde leben, sondern wortwörtlich ein Teil davon sind.

Mit dem Mond wird das also eher schwierig…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.