Heinzelnews im April 2023: Dein Tilsit ist mein Ziegel, und wir sind alle Migranten

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Die Schweizer hören es gar nicht gerne, wenn man sie als Milchüberschußgebiet bezeichnet, haben aber doch mehr vom weißen Stoff, als 8,7 Millionen selbst verzehren könnten. Was natürlich auch daran liegt, daß die rotweiß-beflaggten 41.300km² (halb so groß wie Österreich, ein Sechstel von Deutschland) größtenteils gebirgig steil und steinig sind und sich besser für Weiden und und den Umweg Wiederkäuer eignen als für den Ackerbau. Das bedeutete wiederum, daß viele junge Schweizer ihr Auskommen außerhalb der Landesgrenzen gesucht haben und in der Milchwirtschaft gesuchte Spezialisten waren – oder immer noch sind.

Stephan Ryffel gehört zu ihnen, er ist aus Graubünden in der Nordschweiz auf die andere, badische Seite des Bodensees in die Nähe von Überlingen gezogen und verantwortet seit langem die Käserei der Hofgemeinschaft Heggelbach. Was noch lange keinen Badener aus ihm macht und seinen schweizerischen Käsegewohnheiten keinen Abbruch tut. Ich hab Euch hier bereits seinen außergewöhnlichen Felsbrocken vorgestellt; heute möchte ich Euch den Heggelbacher Ziegel ans Käseherz legen. Allerdings müßt Ihr dafür in Heggelbach nach Tilsit fragen, Ziegel ist nur meine spontane Bezeichnung für diesen, nun, ziegelförmigen, rotgeschmierten halbfesten Schnittkäse. In der Schweiz versteht man unter Tilsit einen ganz anderen Käse als den blockförmigen, sehr aromatischen an der Ostsee (hier mehr dazu) – aber Stephans Version liegt aus meiner Sicht irgendwo dazwischen. Macht Sinn unter den Umständen: neuer Ort, neue Bedingungen, neuer Käse! Der mir ausgesprochen gut gefällt, Spitzenmilch, lebendige Säure, mürbe Struktur, feinsandige Rinde… paßt. Der hier abgebildete ist inzwischen 17 Wochen alt.

Der Heggelbacher Ziegel und seine Geschichte passen zu dem Buch, das ich gerade lese: Migrants – The Story of Us All, von Sam Miller. Sehr gut geschrieben mit vielen Bezügen zum Hier und Jetzt, aber auch hervorragend historisch belegt stellt der London-gebürtige Journalist dar, daß unser „Normalzustand“ kein seßhafter ist, wir Menschen vielmehr immer unterwegs gewesen sind und unser Bild von Migranten daher korrigiert gehört.

Remember that being sedentary, having a permanent home is, in deep historical terms, a relatively modern phenomenon, and that four hundred years ago about a third of the world’s population was nomadic.[…] And so I suggest that we may learn something about ourselves as a species if we put aside the notion that there is something innately normal or natural about staying in, or close to, the place you were born.

The language surrounding migration is often loaded and confusing, and in recent times has become increasingly bound up with ideas of the nation-state and its borders, as well as with race and racism. Immigrants and emigrants, arrivers and leavers respectively, are, obviously, the same people seen from distinct view points, and yet are imagined quite differently. In rich countries, emigrants are typically seen as adventurous risk-takers, while immigrants are often portrayed as parasites. Attitudes towards migrants can be deeply inconsistent.

Und doch gehören wir alle dazu… was mir auch bei meiner kürzlichen, viel zu kurzen Stippvisite in Rumänien sehr bewußt wurde: am Schnittpunkt zwischen Ost und West ist dies ein historischer Brennpunkt zwischen romanischen und osmanischen Einflüssen, sind hier schon immer unglaublich viele unterschiedliche Kulturen aufeinander getroffen. Ich kann kein Rumänisch, leider, und für mich klingt die Sprache italienisch-vertraut – bis plötzlich etwas wie das slawische „da“ für „ja“ aus dem Rahmen fällt.

Ich habe dort einige Weingüter in Dealu Mare besucht, an den ersten Ausläufern der Karpaten eine gute Autostunden nördlich von Bukarest, und fand viele der Weine großartig, besonders aber nicht ausschließlich aus den lokalen Sorten Fetească Albă und Fetească Neagră. Viel Frische und Charakter! Als Einstieg hier, passend zu den ersten Frühlingslüften, einen Weißwein vom (rundherum empfehlenswerten) Weingut Davino in Ceptura, der zeigt, wie sehr sich diese Sorten auch mit anderen vertragen. Der 2021 Faurar Alb de Ceptura ist eine Cuvée aus Sauvignon Blanc, Fetească Albă und Welschriesling – und ich verspreche Euch, daß die Summe der drei ganz anders schmeckt als jede einzeln. Drei Migranten, die zueinander gefunden haben und hoffentlich auch zu Euch finden.

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PS Der nächste Heinzelcheesetalk findet am Freitag, den 21. April um 18h in der Markthalle Neun, und es wird (Achtung, wer mich schon länger kennt, haltet Euch fest!) um Käse mit Gewürzen gehen. Eigentlich nicht so meins, aber genau solchen Dingen gehört genauer ins Auge geschaut, um nicht in überholten Schubladen hängenzubleiben.

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