Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.
Ich war lange nicht im Baskenland, habe aber wunderbare Erinnerungen an Atlantik und Pyrenäen in den Sommerferien. Wein war damals allerdings noch nicht so richtig Thema, da hat sich viel getan – so wie sich auch die politische Situation nach den Terroranschlägen der ETA glücklicherweise sehr zum Besseren gewendet hat. Der 2019 Tantaka von Juanjo Tellaetxe ist mir diesen Sommer in Cornwall begegnet, ein Txakolin aus dem atlantisch geprägten Alava unmittelbar südlich von Bilbao, aus der heimischen Rebsorte Hondarribi Zuri. Die Tantaka-Geschichte ist ebenso faszinierend wie die baskische Sprache, Juanjo war Priester und Schafhirte, bevor er die Weinberge der Familie übernahm. Sein Tantaka hat eine großartige Frische, aber auch sehr viel Spannung und Kraft; bestens geeignet, um alte, vorgefaßte Gewohnheiten zu überprüfen (siehe unten).
Alte Gewohnheiten und Südafrika… lange Geschichte, die uns allen, leider, nur allzu vertraut ist. Der 2020 Saboteur von Luddite begegnete mir im selben Regal wie der Tantaka, aber als alter Bekannter, Freunde hatten ihn mir vor Jahren aus Kapstadt mitgebracht. Auf dem Etikett steht: Saluez le Saboteur/Made by Luddites/Technology & Mechanization will never be a substitute for passion.
Die Cuvée aus Chenin Blanc, Viognier und Blanc Fumé (es gibt auch eine rote Version) stammt von Niels Verburg in Bot River, südöstlich von Kapstadt und Stellenbosch. Unschwer zu erkennen, daß Niels nicht viel von Technik hält: Die Luddites waren Textilarbeiter, die Anfang des 18. Jahrhunderts in England gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen im Zuge der Industrialisierung kämpften und dabei auch gezielt Maschinen zerstörten. Ich weiß nicht, ob Niels auch so weit gehen würde, ich habe ihn leider noch nicht persönlich kennengelernt. Seinen (unfiltrierten) Wein finde ich großartig, weil er viel Schmelz mit ebenso viel Ausdruck verbindet; wenig Technik bedeutet hier keinesfalls Verzicht, sondern das Gegenteil. Erinnert ein wenig an große Weißweine von der Rhône, aber mit einer ganz anderen Mineralik.
Und dann fiel mir neulich der kleine Manesse-Band mit den Essais von Michel de Montaigne wieder in die Hände, und ich las mich in den Überlegungen dieses wunderbaren französischen Denkers, Skeptikers und Humanisten aus dem Périgord (1533-1592) zum Thema Gewohnheit fest:
Mir scheint jener die Macht der Gewohnheit sehr richtig erfaßt zu haben, der als erster die Geschichte ersann, wie eine Bauersfrau ein Kalb zur Stunde seiner Geburt zu liebkosen und auf den Armen zu tragen begann, und da sie immer weiter fortfuhr, so zu tun, durch die Gewöhnung dahin gelangte, daß sie, ein so großer Ochse es auch geworden, ihn immer noch trug. Denn fürwahr, eine herrische und heimtückische Schulmeisterin ist die Gewohnheit. Sie legt ganz allmählich und unvermerkt ihr Joch auf; aber hat sie sich nach diesen sanften und demütigen Anfängen mit Hilfe der Zeit eingenistet und seßhaft gemacht, so zeigt sie uns nach und nach ein furchtbares und tyrannisches Gesicht, gegen das wir nicht einmal mehr frei den Blick erheben dürfen. Wir sehen sie auf Tritt und Schritt die Regeln der Natur vergewaltigen. […] Man muß den Kindern sorgfältig beibringen, die Laster ihrer selbst wegen zu hassen, und sie deren innewohnende Widerlichkeit lehren, damit sie vor ihnen fliehen, nicht nur in ihrem Tun, sondern vorzüglich in ihrem Herzen; daß ihnen der bloße Gedanke daran abscheulich sei, unter welcher Maske sie auch erscheinen.
Essais, Manesse, Übersetzung Herbert Lüthy, S.155-158
Ebenso lesenswert ist Montaignes Tagebuch einer Reise durch Italien, weil er seine Umgebung sehr aufmerksam beobachtet und beschreibt und bevor er Italien erreicht, die Schweiz und Süddeutschland durchquert. Ein Beispiel (über Lindau):
Wir wohnten in der Krone, einem hübschen Gasthaus. In das Tafelwerk des Speisesaales war eine Art Käfig eingebrochen, in dem eine große Zahl Vögel Platz fanden; Schwebegänge, die mit Messingdrähten aufgehängt waren und von einem Ende des Zimmers bis zum anderen gingen, dienten den Vögeln zum Spazierengehen. […] Überall werden Kohlköpfe gezogen, die man mit einem besonderen Instrument klein zerhackt und dann in großen Mengen in Zubern einsalzt: davon werden den ganzen Winter Kohlsuppen gekocht.
Insel, S.48, Übersetzung Otto Flake
Beide Weine werden gut zur winterlichen Kohlsuppe passen – aber zuerst genießt damit den Sommer, so gut es geht, und haltet die Gewohnheit in Schach.
Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedicht- oder Musikform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein und Worten begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: die Weine gibt es hier und hier, hier könnt Ihr Montaigne-Lesestoff bestellen. Lesen, trinken und schmecken, denken und leben müßt Ihr wie immer selbst.