„Die Engländer“ sind Exzentriker, eingefleischte Kolonialisten, ewig gestrige Brexiteere und bekommen das mit dem Regieren gerade nicht so richtig gut hin… Ja, kein Einspruch. Aber, und, weil ja nichts auf dieser Welt ausschließlich schwarz oder weiß ist: sie haben auch großartige Käse. Und diese Käse sind von so ganz anderer Art als die Klassiker hier „auf dem Kontinent“.
Ich hatte eine Auswahl für Euch aus London mitgebracht, dieses Mal wieder von Neal’s Yard Dairy am Borough Market. Dieses Unternehmen gehört zu den Bewahrern und Rettern der englischen Käsekultur, die sie keinesfalls als Museum begreifen, sondern seit Anbeginn Neues unterstützen und fördern. Das wollte ich mit Euch erkunden und erschmecken, im Glas begleitet von einer bunten Sommerauswahl von Bubbles über Rosé bis Orange.
Wir begannen mit Riesling Sekt von Frey aus dem Breisgau und dem Cornish Yarg zur Einstimmung, letzterer eher unspektakulär und als einziger Käse des Abends nicht von Neal’s Yard Dairy und nicht aus Rohmilch. Aber dann: Julie Cheyney’s kleiner, feiner St Jude, den sie bei der Fen Farm Dairy in Suffolk macht, vertrug sich mit seiner Reife gut mit dem Brisat Vermell, einem duftigeren Orange Wein von Oniric aus dem Penedès (danke Suff!). Danach ging es mit dem Elrick Log nach Schottland, wo Selina Cairns die Käserei von ihrem Vater übernommen hat und neben Lacaune-Schafen nun auch Ziegen melkt. Der kleine geaschte Käse erschien Euch einerseits süßlich, andererseits von einer deutlichen Schärfe, die aber von dem geschmeidigen, faßgeprägten 2020 Chardonnay von Babylonstoren vom Simonsberg in Paarl in Südafrika gut aufgefangen wurde.
Womit wir zu den Käseklassikern kamen, allen voran der Wallace & Gromit-Favorit Wensleydale, aus Yorkshire. Vier Monate gereift und würzig der Whin Yeats von Tom und Clare Noblet, zwei Monate jung und doch ungemein ausdrucksvoll der Stonebeck von Andrew und Sally Hattan, die sehr abgelegene Weiden bewirtschaften und deren 15 Northern Dairy Shorthorns sich ausschließlich (!) davon ernähren. Der 2019 Tantaka von Juanjo Tellaetxe aus Txakoli im spanischen Baskenland brachte dazu genau die richtige lebhafte Spannung ins Glas.
Es folgte ein weiteres Paar, zweimal Caerphilly, der als der walisische Käse schlechthin gilt. Wir beleuchteten ein wenig seine historischen Hintergründe (bald mehr dazu in meiner Effilee-Kolumne) und verkosteten dann den Duckett’s von der Westcombe Dairy und den Gorwydd der Trethowan Brothers (die beide ironischerweise in Somerset produziert werden). Letzterer ein echter Hit, super lebendig und spannend und doch unkompliziert und vergnügt. Und: Gorwydd gibt es bei Alte Milch! Sauvignon Blanc Ried Vogelsang von Herbert Zillinger aus dem Weinviertel tanzte ebenso vergnügt, mit ebenso viel Tiefgang dazu – was auch ganz hervorragend mit dem eher ruhigen, leisen, hellorangefarbenen Cheshire aus Shropshire der Familie Appleby harmonierte.
Absolut leuchtend orange poppte der Sparkenhoe dann auf den Brettern, ein Red Leicester (der ursprünglich als Milchüberschuß-Regulator von Stiltonproduzenten gemacht wurde). Vom März 2021 war dieser Käse von David und Jo Clarke großartig mürbe gereift – und schmeckte überhaupt nicht nach Karotten ;)) Der 2019 Retro Selection von Guerila aus dem Vipava-Tal in Slowenien unterstrich die mineralische Seite und begleitete auch den sieben Monate gereiften Lancashire der Familie Kirkham bestens.
Zum Abschluß hatte ich zwei eher ungewöhnliche Cheddar und dazu ebenso ungewöhnliche Weine mitgebracht. Hafod (12 Monate) wird von der Familie Holden in Wales produziert und wirkt runder und üppiger als die Klassiker aus Somerset. Er gab uns Anlaß, über Lab zu reden, tierisches, mikrobielles… Der 2020 Pithos Bianco von COS aus Vittoria in Sizilien war eigentlich noch viel zu jung, öffnete sich aber im Glas wunderbar mandelig-herb, wie die meisten Weine (und Käse) dieses Abends hätten wir uns sehr viel länger mit ihm beschäftigen können. Corra Linn beamte uns schließlich nochmal nach Schottland zu Selina Cairns, ein sechs Monate gereifter Cheddar aus Schafsmilch, den der 1999 Colares von Paulo da Silva mit einer frischen, erfrischenden Atlantikbrise aus Portugal begleitete. Danke für diesen schönen Abend mit Euch!
HeinzelCheeseTalks finden (nun hoffentlich weiterhin regelmäßig!) rund einmal im Monat an einem Freitag um 18h in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg statt, an dem langen Tisch gegenüber vom Suff-Weinstand. Ich bringe spannende Käse mit, öffne ein paar Flaschen Wein, wir verkosten, reden, diskutieren, alles ganz entspannt (und größtenteils auf deutsch – obgleich wir es im allgemeinen auch schaffen, den einen oder anderen auf englisch “mitzunehmen”). Die Einladung geht etwa zehn Tage vorher an alle Abonnenten, die sechzehn Plätze am Tisch werden auf Reservierung per Email vergeben, die meinerseits spätestens am Samstag vor dem HeinzelCheeseTalk schriftlich bestätigt wird. Ich freue mich über einen freiwilligen Kostenbeitrag von fünfzehn Euro pro Käsegenießer (bar am Ende des Abends), wenn’s extra viel Spaß gemacht hat, dürfen es auch ein oder zwei Euro mehr sein… cheesio – hoffen wir, daß die Welt zusammenhält und wieder zusammen findet.