Der Käse des Monats für den August 2019 ist: Erzincan Tulum Peynir der Familie Gün aus Anatolien

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Erzincan Tulum Peynir, der Schafskäse aus den Bergen im Nordosten von Anatolien – das sind nach meinen Reisen im Juli letzten Jahres und im vergangenen April dort hin so viele großartige Bilder, so viele Eindrücke und Gedanken. In der Landschaft der majestätischen Bergplateaus hoch über dem Tal des Karasu, dem schwarzen Fluß, der weiter südlich Euphrat heißt, leben Schafe und Menschen in beeindruckender Symbiose.

Erzincan Tulum Peynir, das sind die Gesichter von Halesi, Songül, Mustafa Gün und all den anderen, die im Sommer mit den Herden aus den Gebirgsdörfern hinaufziehen und diese Landschaft in Käse übersetzen. Es ist harte Arbeit unter harten Bedingungen, aber es ist auch das unglaubliche Licht der Morgensonne, der frische Käse, der in Satteltaschen über dem Pferderücken hängt, das Frühstück, mit dem sie Gäste großzügig bewirten.

Ich weiß nicht, ob und wie ich es verdient habe, aber ich hatte auf diesen Reisen zu den Wurzeln ein richtiges Heinzelcheeseteam an meiner Seite; Übersetzerin, Fotograf, Fahrer… Danke, Gamze, Arda und Hüseyin. Ihr habt es mir ermöglicht, richtig einzutauchen in diese Welt und die alten Zusammenhänge zumindest im Ansatz zu begreifen.

Erzincan Tulum Peynir funktioniert ungefähr so: Im Mai, nach der Regenzeit, ziehen die Familien mit ihren Schafherden (typischerweise zwischen 200 und 300 Tiere) aus den Gebirgsdörfern hinauf auf die Plateaus, auf über 2500 Meter, wo die Luft kühler ist und Weiden grün und üppig und die Menschen bis in den September in Zelten leben. Die Männer melken morgens und abends (mit der Hand), die Frauen legen die Milch sofort anschließend mit selbst angesetztem Lab dick und schöpfen sie zum Abtropfen in Stoffbeutel. Frühmorgens werden diese Beutel mit dem Auto oder Pferd in eine Sammelstelle gebracht, ein Zelt, das als erste Käserei fungiert. Dort füllen die Männer große Säcke mit dem frischen Käse, nähen sie zu und stapeln sie. Eine Woche lang tritt so weiter Molke aus, während Milchsäurebakterien den Milchzucker abbauen. Dann wird der feste, saure Quark in eine große Wanne geleert, mit den Füßen bzw. Gummistiefeln zertreten und gleichzeitig mit Salz vermischt. Dieser Käsebruch wird wiederum in große Säcke gefüllt und nach einigen Tagen von den Käsehändlern aus der Stadt abgeholt.

Einer von diesen Händlern, Süleyman Yıldırım, war zusammen mit dem (absolut empfehlenswerten) Istanbuler Feinkosthändler Cankurtaran Gıda unser Insiderkontakt in Erzincan. Er sagte: „Der Käse ist Lebenskultur, keine Handelsware.“ Mustafa Gün, über dessen Familie ich in einer ausführlichen Reportage in der aktuellen Effilee berichte (Kaufen! Lesen! Lohnt sich auch weit über diesen Bericht hinaus!), nennt es „Fabrik ohne Rauch“.

Und wie schmeckt er, der Schafskäse aus Erzincan, den Händler wie Süleyman in Plastik-Bidons oder Schläuche aus Ziegenfell stopfen und vier Monate bei knapp über null Grad reifen lassen? Es ist der konzentrierteste, dichteste Quark, den Ihr Euch vorstellen könnt, aus allerbester, würziger Schafsmilch, mineralisch-salzig, mit einer Säure, die zuerst ganz leise und diskret wirkt, sich aber nach hinten, während der Käse langsam im Mund zergeht, durch all die Fülle freischwimmt und erfrischend wirkt wie in richtig guten milchsauer vergorenen Salzgurken. Die Deri-Variante (wörtlich Leder, Haut) wirkt dabei deutlich komplexer und tiefer im Geschmack als die aus dem Bidon – was an den Weinausbau in Edelstahl und Holz erinnert. Darauf dann noch Honig (von Nachbarn der Familie Gün, ebenfalls aus den Bergen, oder von Eurem Lieblingsimker): der Hammer.

Und jetzt, wenn Ihr hoffentlich nicht schon längst frustriert am Weiterclicken seid, weil Ihr ahnt, daß es diesen Käse mal wieder nicht um die Ecke zu kaufen gibt, kommt der Oberhammer: ich habe einen relativ jungen Erzincan Deri Tulum von den Güns für Euch mitgebracht. Schreibt mir eine Email und überzeugt mich, daß ein Stück davon unbedingt in Eure Richtung auf den Weg gebracht werden muß (bitte nur innerhalb Deutschlands) – und ich werde genau das tun. Als Dankeschön für Eure Aufmerksamkeit und Begleitung über all die Jahre, und für Eure Offenheit über alle herkömmlichen Grenzen hinweg. Teşekkürler.

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6 Gedanken zu „Der Käse des Monats für den August 2019 ist: Erzincan Tulum Peynir der Familie Gün aus Anatolien“

    1. Hallo Yeda – zum Beispiel in Istanbul auf dem Spice Bazaar bei Cankurtaran Gida. Ist eine Reise wert, wenn wir dann wieder reisen können.

  1. Guten Tag,

    Ich brauche diesen Käse unbedingt für Dizme Manti. Richtig gutes Lamm habe ich schon, jetzt wäre natürlich der original Käse perfekt für ein authentisches Genusserlebnis. Gerne trage ich die Geschichte und eine Empfehlung dieses Artikels in meinem Foodblog weiter!

    Kulinarische Grüße,
    Wren

  2. Hallo Frau Heinzelmann,

    heute konnte ich dem Deri Tulum aus Erzincan endlich die gebührende Aufmerksamkeit schenken:

    Interessant kommt er ja schon daher, da er durch das Ziegenleder haarig erscheint. Die Bruchlochung und Farbe (verschiedene Weißtöne, ggf. durch ungleichmäßige Säuerung?) ließ schon einen krümeligen Teig vermuten.
    So empfand ich die Konsistenz auch als bröckelig, kurz, quarkig, aber auch cremig vom Mundgefühl.
    Vom Geruch her erinnerte er mich an Feta-käse (lt. hefig), war aber deutlich tierischer. So auch im Geschmack: als würde man direkt neben dem Schaf stehen. Dann kam der gärige, lt. süßliche Geschmack durch. Was auch stark dominierte war die adstringierende frische Säure und Salz.

    Ein sehr interessanter Käse, pur aber auch kombiniert mit Brombeergelee ein Genuss!

    Ich bedanke mich herzlichst, für das Stück Käsereise (und das Wachspapier- sehr aufmerksam!) und freue mich schon von den nächsten Käsen zu lesen!

    Ich verbleibe mit besten Grüßen,
    Andrea

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