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Istanbul, die großartige verrückte Stadt am Bosporus, erinnert mich immer ein winziges bißchen an Indien: hier ist (beinahe) alles möglich. Bei meinem letzten Besuch Anfang Juni nahm mich meine Freundin Aylin Öney Tan, bestens vernetzte Food-Expertin und -Kolumnistin, beim Stichwort Käse sofort mit zum Gewürzbasar, zu dem Feinkosthändler Cankurtaran Gida. Dort hängt der Himmel tatsächlich voller Würste und Honigwaben, und in der Theke liegen die besten Käse der Türkei.
Einen nach dem anderen bekam ich erklärt und als Probe gereicht. Unter anderem auch einige etwas säuerliche Brocken: „Tulum,“ sagte Aylin, „das heißt Schlauch, und bezeichnet eine der traditionellsten Käse-Arten Anatoliens, bei der gesalzener ausgepreßter Quark in der gegerbten, zum Schlauch zusammengenähten Haut einer Ziege reift.“
Urig, etwas salzig, aber sehr ausdrucksstark – ein Schaf im Ziegenpelz. „Dieser kommt aus Erzincan ganz im Osten, bei Elâzıg.“ Dort war ich schon, in der rauhen Landschaft wächst mein türkischer Lieblingsrotwein, Öküzgözü, und den konnte ich mir zu diesem Käse bestens vorstellen. Der beste Tulum, sagte Aylin, der käme jedoch aus Divle, etwa 100km Luftlinie von der Küste landeinwärts Richtung Konya, der Stadt der tanzenden Derwische. Der sei ganz anders als dieser und werde zur Reifung in Höhlen gelagert. Ihn aufzutreiben sei zu dieser Jahreszeit allerdings schwierig.
Doch wenige Stunden später saß ich mit den Powerfrauen Neve Biber und Berrin Bal Onur von Antregourmet vor einer großen Käseplatte. Auf der lag… Tulum aus Divle! Tatsächlich ganz anders, ein fester, aber nicht harter Käse, der mich in der Konsistenz an Cheddar der besten Höfe in Somerset erinnerte. Die splittrig-bröckelnde Struktur entsteht, weil der gesalzene Quark wiederholt in Stoffbeuteln gepreßt und immer wieder zerkleinert wird, bevor er schließlich im Fell reift. Ganz offensichtlich war dieser Käse über ein Jahr alt, hier gab es Aromen von Haselnußbutter bis zu karamelisiertem Knoblauch zu entdecken, hielt der Nachhall lange und dicht an… Ihr Käse-Götter, Dank! Berrin zeigte mir Fotos, wie die Rugbyball-großen Käse in bis zu 50 Meter tiefen Höhlenschächten des Kalksteinplateaus gelagert werden.
Dort bildet sich durch die Luftfeuchtigkeit erst weißer, dann blauer und schließlich rötlicher Schimmel und färbt das Fell; allerdings nur von außen, denn bei Höhle und Schafsmilch hört der oft zu lesende Vergleich mit französischem Roquefort auch schon auf, damit hat Tulum wirklich überhaupt nichts zu tun. Im Oktober, spätestens November wird es in den im Sommer knapp über null Grad kalten Höhlen zu warm, Tieren und Menschen auf den hoch gelegenen Weiden zu kalt, dann ziehen sie (oder zogen sie traditionell zumindest) weiter an Winterstandorte, mitsamt reisetechnisch perfektem Käsevorrat. Reisetechnisch perfekt, jawohl, das war mein Käse. Auf die Frage, wo ich bitte schön bis zu meiner Abreise am folgenden Tag einen solchen Höhlenvertreter erstehen könnte, schlug mir allerdings verlegene Stille entgegen.
Doch die Käse-Götter meinten es weiterhin gut mit mir: Aylin und ich gingen abends auf ein Glas Wein zu einem Empfang ins superschicke Dachrestaurant Ferahfeza im Karaköy-Viertel, wo die quirlige Gamze Ineceli (früher Performancetänzerin in New York!) für das gastronomische Konzept zuständig ist. Sie überraschte mich nicht nur mit meinem alten Schwarm Öküzgözü, sondern servierte uns dazu auch – Tulum aus Divle. Perfekte Kombo. Um es kurz zu machen: bei meiner Abreise erwartete mich die rothaarige Käse-Schönheit an der Rezeption, um mich zum nächstem HeinzelCheeseTalk zu begleiten. Oh Ihr Götter.
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