Der Käse des Monats März 2013: Nieheimer von Maria Pott

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Karneval und lustiges Jeckentum gehören nicht zu meiner Welt, und die Zeit nach Aschermittwoch paßt viel besser zum winterlichen Grau, das sich in Berlin meist zuverlässig bis weit in den März hinein hält. Diese Stimmung paßt leider auch zu meinem Käse des Monats März. Denn traurigerweise ist dies ein Nachruf auf einen echten Charakterdarsteller der deutschen Käseszene, den Nieheimer von Maria Pott.

der letzte Nieheimer

Ich habe die alte Dame im Mai 2008 während der Recherche für mein Käsebuch besucht und daraufhin folgendes geschrieben:

Nieheim ist eine nette alte Kleinstadt und die Nummer 32 in der Unteren Mauerstraße ein unauffälliges kleines zweistöckiges Häuschen. Maria Pott könnte meine Großmutter sein, in Faltenrock und Pullover, das silbergraue Haar in geordneten Dauerwellen. Während sie ihre Tochter anruft, sitze ich in der guten Stube und habe Zeit nachzudenken. Nieheimer Käse ist ein absolutes Unikum in der deutschen Käselandschaft. Oberflächlich betrachtet gehören die kleinen würzigen Taler als magere Sauermilchkäse zur selben Familie wie Handkäse und Harzer, sind aber doch eine ganz andere Geschichte, die sich namentlich bis ins Jahr 1858 zurückverfolgen läßt. Die zu ergründen bin ich hier.

Ihr Schwiegervater sei 1940 gestorben, erzählt Maria Pott, die morgen ihren 75. Geburtstag feiert, da hätten sie die Käserei eingerichtet, um sich mit der wenigen Rente über Wasser zu halten. Ihr eigener Mann sei auch früh gestorben – das Käsen scheint im Hause Pott Frauensache. Doch gibt es hier weder Kuhstall noch Käsekessel zu bestaunen, weil nicht Milch, sondern sehr trockener, aus Magermilch erzeugter Sauermilchquark Grundlage der Pottschen Käserei ist. „Früher haben hier alle Kühe gehabt und auf den Höfen auch den Quark selbstgemacht. Aber dann sind wir lange Zeit die einzigen gewesen, erst seit kurzem gibt es wieder einen Mitstreiter. Als kleines Familienunternehmen können wir schließlich auch nur begrenzte Mengen verarbeiten. Es ist alles hier im Haus und alles ganz klein.“

„Aber es ist schon ein Fulltime-Job“, sagt Angelika Siedenkamp, die inzwischen aus ihrem Garten angeradelt gekommen ist, „wir verarbeiten ein bis zweimal die Woche 350 bis 400 Kilo Quark, da hilft die ganze Familie mit.“ „Bis Mitte der 1970er kam der Quark noch aus der Nieheimer Molkerei, dann aus Steinheim“, erinnert sich ihre Mutter, „heute kommt er aus dem Sauerland, aus der Upländer Bauernmolkerei in Nordhessen.“ So ganz klar ist mir noch nicht, was die Potts genau mit diesem Quark anstellen, der in Chargen von immerhin 1500 Kilogramm extra für sie gefertigt wird. Also gehen wir durch den niedrigen Hausflur nach hinten in die Käserei, einen übersichtlichen, hellgrau gefliesten Raum.

In einem Kühlraum zeigt mir Angelika Siedenkamp die 50kg schweren Quarksäcke. „Er ist ganz eng gepreßt“ erklärt sie, „und wenn keine Luft daran kommt, hält er sich bei 6°C ziemlich lange. Aber nicht jeder Sack ist gleich, die Trockenmasse schwankt, und das ist das Spannende.“
Das einzige „technische“ Zubehör ist ein etwas größerer Fleischwolf aus Edelstahl mit verschiedenen handgefertigten Vorsätzen. Damit wird der Quark in dreißig Zentimeter hohe rechteckige Plastikwannen gemahlen. Er sieht aus wie große Butterstreusel und verströmt einen tiefwürzigen, handfest säuerlichen Duft – das Gegenteil der laktischen Babyhaut-Kuschelnummer „normaler“ Käsereien! „So muß er bei 18 bis 20°C drei bis vier Tage reifen, bis er er den richtigen Reifungsgrad erreicht hat“, sagt Angelika Siedenkamp, „doch je nasser er ist, desto schneller fällt er zusammen und gärt dann langsamer, weil nicht mehr genug Sauerstoff darankommt. Unter Umständen muß man ihn dann auch nochmal neu vermengen.“ Schließlich werden Kümmel und Salz mit der Hand darunter gemischt, das Ganze wieder durch „die Maschine“ gelassen, zurück in die Wannen  und eine weitere Nacht stehen gelassen.

In den Wannen passiert die eigentliche Reifung, das ist mir jetzt klar, denn im Gegensatz zum Harzer und ähnlichem kommen hier keine Reifungssalze zum Quark, die auf der Oberfläche Edelschimmel oder Rotschmiere fördern und ihn dadurch später von außen nach innen glasig werden lassen. Bei den Potts wird der fertig gereifte Quark mit Hilfe eines mit warmem Wasser temperierten Vorsatz an der Maschine zu einer festen Wurst gepreßt. Die gleitet auf ein dreißig Zentimeter kurzes kleines Förderband und wird dort mit Hilfe einer noch kleineren Konstruktion mit Schneidedrähten in daumendicke Taler geschnitten. Diese müssen einige Stunden auf Holzbrettern ausgebreitet auskühlen, dann werden sie in mit weißem Wachspapier ausgelegten schlichten graubraunen Kartons mit dem grünen Aufdruck verpackt und im Kühlraum gelagert.

Ruhe in Frieden

Angelika Siedenkamp hatte damals schon gesagt, der Versand an Privatkunden sei eher rückläufig, weil junge Leute den Nieheimer einfach nicht mehr kennen würden. Ich weiß nicht, ob ich nun zu den Jungen oder Alten zähle, denn ich habe mich immer über den Nieheimer auf meinem Käsebrett gefreut, weil er so kompromißlos geradlinig war, Säure und Salzigkeit wunderbar ausgewogen, trotz der trockenen Konsistenz geradezu kremig… und überraschend gut mit kräftigem Spätburgunder-Rotwein. Ich bin froh, ihn gekannt zu haben.

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10 Gedanken zu „Der Käse des Monats März 2013: Nieheimer von Maria Pott“

  1. Hola aus Palma –

    kenne den Nieheimer-Käse aus meiner Jugend-zeit von der Oma aus dem Paderborner-Land. Würd mich sehr freuen wenn mir jemand per @ sagen kann wer mir ein Packet von dem Käse nach Palma schickt … saludos – GRAÇIAS ! … Tom@palausafont.com

  2. Mit großem Interesse habe ich den Bericht der Frau Heinzelmann gelesen. Ich bin 1950 in Nieheim geboren und kenne den Nieheimer Käse von Kindheit an, zumal meine Mutter für den Eigenbedarf diesen Käse selbst hergestellt hat und ich dabei tatkräftig geholfen habe. Somit wurden bei der oben beschriebenen Herstellungsweise alte Erinnerung wieder wach. Genauso haben wir es gemacht- natürlich in kleineren Mengen.
    Später hatten wir/ich den Nieheimer Käse natürlich von Pott’s bezogen. Hier war es auch möglich eine Portion ungeformte Käsemasse für die Herstellung von Kochkäse zu erwerben, den ich bis zur Schließung der Käserei Pott nach alter Rezeptur meiner Mutter gefertigt habe. Ein(e) Tag/Woche ohne Nieheimer Käse war bis dahin für mich unvorstellbar!
    Es ist richtig und da stimme ich den vorangehenden Kommentaren zu: es folgte eine schlimme Zeit, denn der Schaukäserei Menne war es lange Zeit nicht gelungen, den Pott’schen Käse auch nur annähernd zu kopieren.
    Zur Ehrenrettung der Käserei Menne kann ich nun aber sagen, dass seit den letzten Quartal 2015 der dort hergestellt Nieheimer endlich wieder eine Qualität besitzt, die den Namen „Nieheimer Käse“ gerecht wird. Er schmeckt mir wieder ganz hervorragend und bereichert mein Frühstück und Abendessen fast jeden Tag.
    Leider wird er teilweise in Folie eingeschweißt. Wichtig ist, dass er sofort aus dieser Verpackung befreit werden muss und auf einem Holzbrettchen oden in einem Tongefäß aufbewahrt und immer mal gewendet wird. Evtl. auftretenden weiße Flecken sind kein Schimmel! Problemlos lasse ich einige Käsetaler richtig hart werden und genieße sie als Reinbekäse – wie bei Muttern.
    Übrigens, vom 2. – 4. September 2016 findet in Nieheim der 10. Deutsche Käsemarkt statt. Unter über 400 verschiedenen Käsen aus rund 60 europäischen Hofkäsereinen darf der Nieheimer Käse nicht fehlen! Es bleibt zu hoffen, dass er seinen derzeitige Geschmack und Beschaffenheit behält.

    1. Ich bin Jahrgang 1953 und in Ostwestfalen und somit auch mit Nieheimer Reibekäse aufgewachsen. Später habe ich ihn dann bei Frau Pott in meine neue Heimat München bestellt, und es war immer ein wunderbares Gefühl, diese hübsche einfache Pappschachtel zu öffnen und den vertrauten Geruch zu schnuppern. Natürlich war ich total traurig, als ich erfuhr, dass die Käserei Pott schließt, zumal ich schon erfahren hatte, dass der Käse von Menne keine Alternative sei. Darum bin ich Herrn Schütze dankbar für die Bemerkung, dass die Käserei Menne eine Qualitätssteigerung geschafft hat. Ich glaube, ich werde es wagen, eine Bestellung dort zu tätigen.

  3. Ich habe am 13. Januar 2015 zwei Karton Nieheimer-Käse bei der Käserei Menne in Nieheim per Fax bestellt. Erst nach einer Bestell-Anmahnung bekam ich am 28. Januar endlich den Käse geliefert. Fünfzehn Tage Lieferzeit sind einfach zu lange. Schade das die Tradition von Geschmack und Verfügbarkeit nicht mehr erhalten wird und der Name „Nieheimer-Käse“ langfristig nicht mehr ein Garant für Beste Qualität sein wird.
    Schade um den Nieheimer Käse !

  4. Ich bin 1949 in Nieheim geboren. Wohne seit 1956 in Wuppertal und seit 1981 im Harz. Der Nieheimer Käse gehört immer noch zu meinem Lieblingskäse. Leider ist Maria Pott in Ihrem wohlverdienten Ruhestand. Ihr Käse bleibt für mich der Beste. Der Versuch der Schaukäserei Mennecke eine Käsekopie zu fertigen, ist leider nicht ganz so gut gelungen.

    1. hallo,
      stimme vollkommen mit Ihnen überein.
      Bin ebenfalls ein 49 er Jahrgang und kannte und schätzte den Nieheimer von M.Pott über etliche Jahrzehnte.
      Schade daß kein Nachfolger den Betrieb weiterführt.
      habe mittlerweile eine sehr gute Alternative gefunden, den Ennstaler Steirerkäse. Leider nur in der Steiermark zu bekommen. Bringe hin und wieder welchen von der Reise mit.
      Alles Gute.
      U.Müller

  5. Ganz, ganz bitter…! Wollte mich heute, wie bei jedem Besuch in der alten Paderborner Heimat, wieder für ein paar Wochen mit dem „Reibkäse“ eindecken, und erhielt die Nachricht, daß es diesen nicht mehr gibt. Bin damit quasi großgeworden; frisch in Scheiben oder als Hartkäse gerieben, gehörte der Nieheimer Käse dazu.
    Mag das ja noch gar nicht akzeptieren, schließe mich dem Kommentar und dem Vorredner an und hoffe, daß es doch noch irgendwie weitergeht!?!

    1. Der Fairness halber muß an dieser Stelle erwähnt werden, daß die Schaukäserei Mennes in Nieheim weiterhin traditionellen Nieheimer mit Kümmel produziert. Allerdings hatte ich leider noch keine Gelegenheit zum Verkosten.

  6. Bin in einer Bauernschaft im Münsterland aufgewachsen aber lebe schon seit über 30 Jahren in der Stadt Münster. Habe dort immer auf dem Münsteraner Wochenmarkt den Nieheimer Handkäse mit Kümmel gekauft und mit Vorliebe genossen. Schon als Kind habe ich Ihn am besten in geriebener Form auf dem Brot sehr gerne gegessen. Habe leider erfahren müssen, das dieser leckere Käse aus Nieheim in absehbarer Zeit nicht mehr hergestellt wird. Das wäre sehr, sehr, schade. Kann mich dem Kommentar nur anschliessen
    Werner Luhmann Münster i. W.

    1. Wie schon Frau Heinzelmann sagt: Lediglich die Käserei Pott, bei der ich mich regelmäßig eingedeckt habe, hat (leider) aus Altersgründen den Betrieb eingestellt.
      Die Käserei Menne produziert den „kleinen Nieheimer“ – und darüber hinaus ein vielfältiges weiteres Käseangebot – weiter.

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