Heinzelwein-Dreier im Dezember 2019: Anregendes zum Feiern, Beruhigendes zum Durchhalten – und Rebecca Solnit zur Hoffnung im Dunkel

Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.

Ach ja, der Dezember… kommt gefühlt jedes Jahr schneller nach dem letzten lauen Spätsommerabend auf dem Balkon. Auf einmal ist die Winterzeit über uns, und das Dunkel, und trotzdem bleibt der Terminkalender prall gefüllt, obgleich die Sehnsucht nach Ruhe drängelt. Eine eigenartige Stimmung zwischen Erschöpfung und Feierlaune, denn natürlich läuten gleichzeitig die Merry-Merry-Merry-Jahresendzeitglocken immer lauter, häufen sich ab Thanksgiving die Weihnachtsfeiern – was ja auch schön ist. Und bedeutet: wir brauchen einerseits ruhigen, soliden Rotwein, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren, und andererseits richtig guten Korkenplopp-Stoff, um auf all die guten Dinge anzustoßen, die dieses Jahr mit sich gebracht hat.

Letzteres zuerst: großartiger, zitronensalzigkremiger Champagner. Jawoll, Champagner. Und zwar der weinige, elegante, geschliffene Latitude der Familie Larmandier-Bernier, die seit langem Weinberge in Vertus bewirtschaften, und bereits seit 20 Jahren biodynamisch arbeiten. Charakterwein mit Bubbles statt süßsaure Angeberbrause.

Auch beim Roten bleiben wir in Frankreich: aus der Ardèche im Süden (schadet doch nicht, sich in unserem Winter innerlich dorthin zu beamen) kommt der Chapeau Melon von La Vrille et le Papillon, ein – jetzt haltet Euch fest – reinsortiger Merlot. Diese Rebsorte hat in den letzten 15 Jahren, seit dem Pinot Noir-Film Sideways, schwere Zeiten hinter sich, war definitiv nicht sexy, sondern der Langeweiler… und kann doch von einer wunderbaren, wohltuenden Ruhe sein. Dunkle, unangestrengte Würze, ohne Schwere oder aufdringliche Süße, und – nochmal festhalten! – in diesem Fall un-alles: unfiltriert, ungeschwefelt und trotzdem un-funky. Außerdem: un-teuer. Daher: perfekter Dezember-Stoff.

Nun hat dieses Jahr natürlich beileibe nicht nur Gutes und Erfreuliches gebracht. Viele kleine und große Abgründe haben sich aufgetan wie schwarze, energieschluckende Löcher. Und doch, und doch, von irgendwo her kommt auch immer wieder Licht. Rebecca Solnit, die grundsätzlich lesenswerte amerikanische Schriftstellerin und Kulturhistorikerin, schreibt in „Hope in the Dark“ (ein schmaler Band, auf den ich vor kurzem durch die absolut empfehlenswerte, inspirierende Ausstellung von Olafur Eliasson in der Tate Modern in London gestoßen bin):

On January 18, 1915, six months into the First World War, as all Europe was convulsed by killing and dying, Virginia Woolf wrote into her journal, „The future is dark, which is on the whole, the best thing the future can be, I think.“ Dark, she seems to say, as in inscrutable, not as in terrible.
[…]
Effects are not proportionate to causes – not only because causes sometimes seem to have little effect, but because tiny ones occasionally have huge consequences.
[…]
Perfection is a stick with which to beat the possible. Perfectionists can find fault with anything…
[…]
Activism is not a journey to the corner store, it is a plunge into the unknown. The future is always dark.

Mit einer etwas kleineren Hausnummer: wer hätte vor zehn Jahren gedacht, daß Merlot ohne jedweden Schwefelzusatz so.., so…., „so einfach gut“ schmecken könnte? Champagner derart viel feinen Weincharakter mitbringen und trotzdem halbwegs bezahlbar sein? Das ist, was Rebecca Solnit meint: Veränderung ist möglich. Dinge sind machbar, Licht kann scheinen, Mauern können fallen. In den scheinbar hoffnungslosesten Situationen. Man darf nur nicht tatenlos zuschauen!

Ich wünsche Euch Kraft und Elan – und Hoffnung. Danke für Eure Begleitung durch dieses Jahr und auf das nächste ein beschwingtes, ploppendes Cheerio!

Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedichtform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: den Latitude von Larmandier-Bernier gibt es zum Beispiel hier, den Chapeau Melon hier, und hier bekommt Ihr Hope in the Dark. Trinken, lesen, schmecken, denken, leben müßt Ihr wie immer selbst.

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