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April klingt theoretisch nach Frühling, selbst in Berlin, beginnt aber dieses Jahr mit Ostern und Schnee. Verschneite Ostern sind nicht sooo ungewöhnlich, als ich im ostereiersuchenden Alter war, kann ich mich an so manche Nester im kalten, weißen Garten meiner Großmutter erinnern. Fünfzig Jahre später freue ich mich geradezu über die bibberigen Temperaturen, weil die eine großartige Ausrede sind, um statt frühlingsleichte Ricotta oder ersten Ziegenfrischkäse vorzustellen an dieser Stelle vom Raclette zu schwärmen.
Was ich bis vor kurzem nie getan hätte, Winter hin, Frühling her. Raclette war entweder langweilig und ein trauriger Versuch, Tischgespräch und Gesellschaftsspiel zu vereinen (die kleinen Pfännchen unter dem runden Tischgrill), oder es stank, selbst mir als turophiler Heavy-User, an irgendeiner Straßenecke, in einem Foodtruck, in einer Markthalle (die halben Laibe unter dem Spezial-Apparatus).
Aaaber – letzte Woche war ich im Wallis, in und um Sierre, auf Einladung der schweizerischen Vereinigung von Spitzenwinzern Mémoire des Vins Suisses, die zu ihren Jahrestreffen auch einige Schreibende mit an die Tische bitten. Es ist eine wunderbare Gelegenheit, all die fantastischen Schweizer Weine zu erleben, denen wir außerhalb der Schweiz viel zu selten begegnen (Completer! Cornalin! Petite Arvine! Heida!…) und die Menschen dahinter besser kennenzulernen.
Natürlich muß zwischen den Weinproben und Exkursionen gegessen werden – was zu wunderbaren Momenten wie dem Mittagessen bei Cyril Lacoste im Café du Marché in Sion führt, einem der best abgestimmten Wein-Menüs, die ich seit langem erlebt habe, und einer Bootsfahrt auf dem größten unterirdischen See Europas in St Léonard (selbstverständlich mit Fendant, Dôle und Apéroplättli – ja, nein, das Journalistenleben ist nicht immer hart). Es folgte der Raclette-Abend im Château de Villa in Sierre, wo ich’s endlich begriffen habe…
Es begann mit einem Glas Fendant als Vorgeplänkel im Stehen, doch sobald wir an den langen Holztischen saßen, kamen die Platten mit getrocknetem und geräuchertem Fleisch auf dieselben, von Schwein und Rind, sowie ständig nachgefüllte Schüsseln mit Cornichons und Essigzwiebeln. Dazu: Rotwein der leichten, frischen Art (Gamay Les Bans von Gérald Besse! aber auch so viele andere). Dann ging es richtig los: in einer Ecke des niedrigen, kleinen Raumes präsidierte der hochgewachsene, kräftig gebaute Milan über fünf Raclette-Apparaturen und eine ganze Reihe von halben Käselaiben. Weißwein kam in die Gläser (sehr besonders: 2010 Fauconnier von Simon Maye!), die Fleischplatten wurden durch Pellkartoffeln in kleinen Körben ersetzt, und eine Karte zeigte die fünf Provenienzen der Käse, die er uns nacheinander servierte.
Es war eine Reise durch die walisischen Alpen, das Rhônetal hinauf von Jeur-Loz (Tanny) ganz im Westen über Champoussin, Orsières und Wallis 65 Turtmann bis nach Simplon im Südosten. Auf dem Teller jeweils nur der geschmolzene Käse, den Milan von den Laiben schabte („racler“), mit einem Stück der knusprigröstigen Rinde. Das Überraschende und Faszinierende: die rund vier Monate alten halbharten (Schweizer Ausdruck, für Nichtschweizer: Schnittkäse) Käse schmeckten viel ausdrucksvoller als in festem Zustand, und sie waren sehr unterschiedlich in der Konsistenz. Manche blieben eher zäh auf der Zunge liegen und klebten am Gaumen, andere schmolzen dahin…
Sie schienen so schwerelos wie die Alpenluft, die uns am nächsten Morgen beim Ausflug zum Gletscherwein auf über 1500 Meter sonniger Berghöhe in Grimentz umgab. Der (sehr außergewöhnliche und außergewöhnlich gute) Gletscherwein der Cave de Bourgeoisie ist eine Geschichte für sich (die auch ihren verdienten Platz finden muß) – ich machte mich in dem malerischen Ort (alte Blockhäuser, von dicken Schneehauben besetzt) sofort auf die Suche nach Käse, und wurde im Marché Villageois fündig. Viermonatiger Raclette („fruité“) der Fromagerie d’Anniviers und zu meiner Begeisterung auch neunmonatiger („corsé“). Rohmilch, selbstverständlich. Ich erstand außerdem einen Laib des (zu Recht) berühmten Walliser Roggenbrots, das früher nur einmal jährlich gebacken wurde, und ein Stück Trockenfleisch.
Zuhause beim Verkosten dann gestern die nächste Überraschung: der junge Käse gefällt mir… besser! Der gereifte (oben rechts im Bild) ist von einer anhaltenden Bitternote geprägt, die ihn nicht komplexer wirken läßt (wie das bei vielen Käsen der Fall ist, etwa gutem Cheddar), sondern sich vorlaut aufdrängt. Der junge Käse hingegen ist überaus freundlich, von einer so feinen Blumigkeit, daß er mühelos Osterglocken und Tulpen ersetzt. Ein jegliches hat seine Zeit – Dank, Ihr Schweizer!
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