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Juli, Sommer, und Endspurt vor dem diesjährigen Oxford Symposium on Food and Cookery, das ich seit diesem Jahr als Director begleiten darf – deshalb macht sich Heinzelcheese das Leben ein bißchen einfach und serviert Euch hier keinen neuen Text über ihren Lieblingsallroundsommerkäse, sondern einen, der vor einiger Zeit bereits in der Effilee erschienen ist – und nach wie vor so zutrifft.
Feta bröckelt mit Gurke, Tomaten, Oliven und Zwiebeln im Salat, Feta würzt Spanakopita, Spinat-Teigfladen, und füllt Tyropita, Käsefladen. Feta gehört mit Oliven und Sardinen zum Aperitifglas Tsipouro, dem makedonischen, anisduftenden Tresterbrand. Feta ist mit Honig und Sesam-Teigkringel Frühstück. Feta ist… hmm, möchte ich das jetzt wirklich schreiben? Doch. Augen zu, durch: Feta ist ein demokratischer Käse, für alle, quasi immer.
Und er ist wirklich urgriechisch. Der legendäre Dichter Homer berichtet vor knapp 3000 Jahren in der Odyssee vom einäugigen Riesen, dem Kyklopen Polyphem, der aus der Milch seiner Schafe und Ziegen in geflochtenen Körben Käse macht. Schafe und Ziegen bestimmen bis heute die Milch- und Käselandschaft Griechenlands, die felsigen, sonnendürren Hänge sind nicht für Kühe geschaffen, sondern von Hirten geführte behende, kleinere Tiere. Den frischen Käse des Kyklopen nennt Homer τυρῶν, tyron, nicht Feta (und deshalb kann man sich als käseliebender Mensch auch ganz vornehm auch tyrophil bezeichnen). Diesen Begriff gibt es erst, seitdem es die Italiener auf den Spuren des Altertums ins Hellenische trieb, und sie zuhause vom Prosfatos, dem „frischen“ Käse, als „Scheibenkäse“ berichteten, fetta.
Feta mag Scheibe heißen, aber gekauft wird er in Griechenland mindestens im pfund-, lieber noch kiloschweren Stück. Über zwölf Kilo ißt jeder der elf Millionen Griechen im Durchschnitt im Jahr, das sind umgerechnet über 30 Gramm am Tag. Was heißt: Feta gehört zum griechischen Alltag wie hierzulande Butter und Brot. Aber Feta ist auch mit den Griechen in die Welt gezogen. Die großen Auswanderungswellen des 20. Jahrhunderts haben Märkte in Australien, den USA, Kanada und Deutschland geschaffen. Schafsmilch war dort schwer zu bekommen, man experimentierte mit Kuhmilch, setzte ihr Chlorophyll und Lipase zu, um schafsähnliche Komplexität vorzutäuschen – wie alle Tricksereien dieser Art vergebens. Es gibt durchaus feta-ähnlichen Käse, der ausschließlich aus Ziegenmilch, aus entrahmter Milch, oder eben aus Kuhmilch hergestellt wird – aber der schmeckt deutlich anders: strenger, weniger ausdrucksvoll, ist bröckelig-quietschiger in der Konsistenz. Und darf nicht Feta heißen, weil dieser Begriff 2002 von der EU als geschützte Ursprungsbezeichnung, englisch PDO, eingetragen wurde.
Scheibletten der anderen Art, Scheibletten mit Charakter: Letzten Herbst traf ich fünf Feta-Bauern beim Salone Del Gusto in Turin – und war schlichtweg baff, wie unterschiedlich ihre Käse schmeckten, obgleich sie quasi Nachbarn waren, allesamt aus dem mittelgriechischen Thessalien. Fünf Produzenten aus demselben Gebiet, mit dem gleichen und doch ganz anderen Produkt – das leuchtet uns beim Wein sofort ein, selbst aus ein- und derselben Lage macht sich die Handschrift des einzelnen Winzers bemerkbar. Warum war ich also überrascht, daß die fünf Stücke Feta vor mir auf dem Teller sich derart voneinander abhoben, in Säure, Salz, Aromen, Textur, Kremigkeit? Ich fürchte, die Antwort lautet: Überheblichkeit. Mea culpa, den basisdemokratischen rindenlosen weißen Käse als gesichtsloses Industrieprodukt abzutun, ihm keinen Eigencharakter zuzubilligen, Namen, Marken und Herkunft lediglich Marketing und Business geschuldet.
Wie auch beim griechischen Wein (diese großartige, verwirrende Vielfalt an autochthonen Sorten) beginne ich erst zu begreifen. Was passiert da, in der Lake, mit dem jungen weißen Käse? Selbstverständlich spielt, wie grundsätzlich bei Käse, die Milchqualität eine Rolle für den Charakter des Endprodukts. Beim Feta kommt hinzu, daß nach wie vor, wie schon zu Homers Zeiten, jahreszeitlich und landschaftlich bestimmt unterschiedlich viel Ziegenmilch zur Schafsmilch gemischt wird. Beim Wein würde man dies in seiner ursprünglichen Art als gemischter Satz bezeichnen: verschiedene Traubensorten, gemischt angebaut, gelesen und vinifiziert. Gesetzlich sind es heute maximal 30 Prozent Ziegenmilch. Die macht sich im fertigen Käse durchaus bemerkbar; Feta aus reiner Ziegenmilch (der dann Katsikisio heißt) schmeckt etwas strenger und salziger, weil die ausgleichende süße Kremigkeit der Schafsmilch fehlt. Und schließlich wirkt sich die Lagerzeit in der Salz-Molke-Lake entscheidend aus. Zwei Monate müssen es mindestens sein, entweder in großen Blechdosen (eher im Norden des Landes) oder in Holzfässern (eher im Süden). Nach einem Jahr Faßlagerung verändert sich die geschmackliche Balance merklich, die Säure wirkt feiner und eleganter, die Konsistenz ist kremiger.
Nachdem ich bereits in Turin meine Feta-Erwachung erlebt hatte, war ich natürlich sehr hellhörig, als mir Benis Levis mir für meine kürzliche Reise nach Nordgriechenland den Tipp gab, mir in Thessaloniki ein Geschäft namens Mia Feta anzuschauen. Benis kommt aus Thessalien und bietet seit einiger Zeit in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg hervoragende Oliven, Öl, Feta, Joghurt und andere Spezialitäten aus seiner Heimat an. Thessaloniki also: wunderschöne Stadt am Meer, mit aufrechtem Rückgrat wie Turin, großen historischen Gesten wie Trieste und einer Lebendigkeit wie Istanbul. Mia Feta: viel mehr als ein Laden, sondern modern gestylte Bar mit einer verführerischen Auswahl an Weinen und Bier. Mister Mia Feta, Giorgos Papastergiou, hat sich damit einen Traum erfüllt. Seine Familie macht seit 50 Jahren in Grevena Käse und Joghurt – im großen Stil, mit zwei eigenen Höfen und der Milch von knapp 300 kleineren Bauern, arbeitet aber bereits seit 1996, noch bevor es in Griechenland selbst entsprechende Richtlinien gab, auch ökologisch. Neben allerlei Innovativem wie eingelegten Fetahappen und Feta mit Trüffel (nicht schlecht!) gibt es bei Mia Feta sechs veschiedene Sorten Feta vom Stück zu kaufen, und Giorgos ließ mich erst wieder gehen, nachdem ich sie alle probiert hatte (und noch ein paar andere Käse, darunter einen großartigen gereiften Graviera – aber das ist eine andere Geschichte). Und natürlich mußte ich dazu einen Schluck (naja, ein Glas) Assyrtiko trinken… Das Heinzelcheese-Leben ist hart. Aber jetzt voller Feta-Begeisterung.
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