Heinzelwein-Dreier für den Dezember 2020: On- und Offline-Weihnachtsfeierbegleiter aus Spanien und vom Petersberg, dazu Stoff für Herz und Hirn aus Irland

Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.

Ich spare mir jetzt mal die Jahresendsprüche, weil sich ja sowieso nicht alles schlagartig mit dem Silvester-Glockenschlag und einer neuen Jahreszahl ändern wird. Wir haben es so weit geschafft durch all die Widerwärtigkeit und Ungewissheit, also werden wir es hoffentlich alle zusammen auch weiter schaffen. Und ja, es ist nicht einfach, und nicht zusammensitzen zu können, nicht zusammen essen, trinken, reden, lachen, weinen – das ist schwierig. Trotzdem braucht Ihr, brauchen wir, Weihnachtsfeierwein! Für die Offline-Minitreffen und die vielen Online-Ersatz-Anlässe. Wein, der uns ein bißchen entführt und inspiriert, aber nicht kompliziert oder anstrengend ist. Ich bin zugegebenermaßen ziemlich erstaunt über mich selbst, daß hier keine Bubbles auf dem Tisch stehen – aber die Stimmung ist eben nicht so bubblig, und der nächste Dreier kommt rechtzeitig vor Silvester, mit Bubbles, versprochen, Krise hin oder her.

Also, einmal weiß, einmal rot. Weiß aus Rueda, neben Katalonien DEM (zu Recht!) angesagten Weißweingebiet Spaniens, zwei Autostunden nordwestlich von Madrid, Richtung Santiago de Compostela, beziehungsweise auf halbem Weg zwischen Porto und Bilbao, nicht weit von Salamanca, im alten Flussbett des Douro, oder eigentlich einer Hochebene, auf bis zu 850 Meter Höhe… Ich finde, schon allein die Vorstellung dieser Landschaft macht alles ein bißchen weniger schwierig. Aber der 2018 Harenna der Bodegas Garciarevalo ist noch dazu superspeziell: er bringt die für die Sorte Verdejo charakteristischen Mandel-, Anis- (Weihnachten!) und Lindenblütenaromen ins Glas, ist von einer saftigen, runden Säure bestimmt – und gerade, wenn das alles droht, ein wenig zu anhänglich, fruchtfreundlich, und ja, vielleicht sogar langweilig zu werden, räumt er mit einem feinen, dezenten Bitterton sozusagen hinter sich auf und macht Platz für den nächsten Schluck. Aus sehr alten, ungepfropften Reben, die auf Sand wachsen, mit eigenen Hefen, souverän und anpassungsfähig, „kann“ alles von Räucherfisch bis rote Bete und Cranberries.

Für den Rotwein machen wir eine Wanderung auf den Petersberg – frische Luft und Beine bewegen ist ebenso essenziell wie Weintrinken! Der Petersberg liegt bei Gau-Odernheim mitten in Rheinhessen, quasi zwischen Ingelheim und Worms, steigt auf 245 Meter an und war wie das ganze Gebiet in Urzeiten Meeresboden. Was den Spätburgunderreben heute ausgesprochen gut gefällt, vor allem wenn sie ihre Trauben so fähigen Händen wie jenen von Johannes und Julia Becker-Landgraf anvertrauen können. Der 2018 Gau-Odernheimer Spätburgunder ist „nur“ ein einfacher Ortswein und dabei aber so in sich ruhend und stimmig, ausgeglichen in Holz, Säure, Kirschfrucht, Alkohol und auch hier einer feinen Herbe, zugänglich und souverän zugleich. Eine freundliche Schulter zum Anlehnen.

Ihr merkt, auch ohne Jahresendsprüche sind Licht und Hoffnung ständiges Thema. Deshalb zu diesen Weinen ein Gedicht von Seamus Heaney, dem nordirischen Ausnahme-Dichter, der Gefühle, Ängste, Freude und Sehnsucht so gut in Worte und Rhythmus übersetzen konnte. Sein Cure of Troy ist beileibe keine Trouvaille, Joe Biden hat es kürzlich (wieder) rezitiert – was es nicht weniger lesenswert macht. Und vor allem hörenswert! Irisch lebt im Gesprochenen. Deshalb laßt Euch auf 72 Sekunden Zuhören ein, wenn mein Freund David Matchett, ebenfalls Nordire, Heaneys Worte liest.

The Cure of Troy by Seamus Heaney

Human beings suffer
They torture one another
They get hurt and get hard.
No poem or play or song
Can fully right a wrong
Inflicted and endured.

History says, Don’t hope
On this side of the grave…
But then, once in a lifetime
The longed-for tidal wave
Of justice can rest up,
And hope and history rhyme.

So hope for a great sea-change
On the far side of revenge.
Believe that a further shore
Is reachable from here.
Believe in miracles
And cures and healing wells.

Call miracle self-healing:
The utter, self-revealing
Double-take of feeling.
If there’s fire on the mountain
Or lightning and storm
And a god speaks from the sky

That means someone is hearing
The outcry and the birth-cry
Of new life at its term.
It means once in a lifetime
That justice can rise up
and hope and history rhyme.

Licht und Hoffnung wünsche ich Euch. Danke, daß Ihr lest und zuhört.

Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedicht- oder Musikform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein und Worten begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: den Harenna gibt es hier, den Spätburgunder hier – mehr von Seamus Heaney findet Ihr selbst. Trinken, schmecken, hören, denken, leben – hoffen! – müßt Ihr sowieso wie immer selbst – keep safe.

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