Der Käse des Monats für den September 2019 ist: die Silberdistel von der Familie Arango, Chäs-Chuchi Gersbach/Südschwarzwald

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Es war eine der eindrücklichsten Begegnungen jener intensiven Monate: die Chäs-Chuchi Gersbach, letzte Station auf dem Südwest-Teil meiner Recherche Anfang 2008 für mein erstes Käsebuch, Erlebnis Käse und Wein. Beinahe 13.000 Kilometer durch ganz Deutschland, über 120 Käsereien, wie eben auch in Gersbach, einem malerischen Örtchen im Südschwarzwald, früher von Goldvorkommen und einer Glashütte bestimmt, beinahe 900 Meter hoch und sehr abgelegen. Sabine und Larry Arango stammen ursprünglich aus dem Allgäu, waren auf der Suche nach neuen Herausforderungen und übernahmen hier 2005 das „Milchhäusel“, die ehemalige Milchsammelstelle für heute gut 40 Nebenerwerbslandwirte rund um Gersbach, jeder mit ein paar Vorderwälderkühen. Es gab und gibt Frisch-, Weich- und Schnittkäse in allen möglichen Varianten, Quark und Joghurt, und es war und ist alles gut – aber die Silberdistel, die war und ist der Hammer.

Larry Arango hatte sie mir damals wie Bückware präsentiert, und ich schrieb danach folgendes im Buch (sorry, das ist ein bißchen länger – aber Ihr seid ja käse-interessiert ;-):

„Er packt ihn aus, legt ihn zwischen uns auf den Ladentisch, schneidet Probierecken und bedeutet mir, dass er ein Urteil von mir dazu erwartet. Ich schaue und schmecke also sehr konzentriert und bin dann aus zweierlei Gründen wirklich baff. Erstens ist dieser gut gereifte Käse das Gegenteil von dem, was mir bis jetzt in dieser Art in Deutschland begegnet ist. Wenn das neue Käsedeutschland einen Schwachpunkt hat, dann ist es der camembert-artige Käse: der ist entweder ganz säuerlich-mild-nett-unbedarft (kann wunderbar sein, sollte nur einfach einen anderen Namen tragen) oder aber erzeugungstechnisch auf konstant cremige Pseudo-Reife getrimmt, dann lohnt der handwerkliche Aufwand nicht, weil der französische Namensgeber industrieller Machart sowieso günstiger zu haben ist. Zweitens liegen in der kleinen Verkaufstheke neben mir ziemlich viele Kräuter- und Gewürzvarianten von Frisch- und Schnittkäse, eine ganz andere Welt als der anspruchsvolle, komplexe Kerl vor mir … vielleicht ist es ein echter Test, ob ich einen französischen Käse erkenne? Ich komme mir vor wie bei einer blinden Weinprobe.

Schließlich fasse ich mir ein Herz und erkläre Larry Arango, wie gut mir dieser Käse gefällt, dessen weißer Edelschimmel von einem fein rötlichen Muster überzogen ist und dessen Würze wunderbar lange anhält, und dass mir so etwas auf meinen Touren bis jetzt noch nicht begegnet sei. Zu meiner Erleichterung merke ich schon an seiner strahlenden Miene, dass ich den Test anscheinend bestanden habe: „Diesen Käse habe ich am 15. Januar hier produziert, am 24. haben wir ihn eingewickelt, so wie wir das mit allen Käsen dieser Art machen und seitdem reift er im Kühlraum.“ Jetzt bin ich erst richtig baff: von hier, und zehn Wochen alt! Diese klassische Camembertgröße sei eine Extra-Charge für einen Händler gewesen, sonst würden sie diesen Käse kleiner machen und wesentlich jünger als Silberdistel verkaufen. [im Bild unten beide zum Vergleich nebeneinander, die kleine Variante weiterhin wesentlich säuerlicher und etwas salziger]

Ich wünsche mir, er würde jetzt auch sagen, dass es eine besondere Nachfrage nach diesem langsam reifenden Wunder gibt, so wie auch nach dem ähnlich intensiven gereiften Schnittkäse vom August letzten Jahres, den er mir anschließend zeigt … doch nein, es würde sich einfach nicht rechnen, so etwas zu vermarkten. Abschließend probieren wir noch den Fetzenberger, der entsteht, wenn die Silberdistel mit Rotschmiere statt Edelschimmel reift und eine sehr elegante Variante des Münsterthemas ist, und dann sitze ich auch schon im Auto…“

Danach mußte ich vor lauter Aufregung erstmal in einer Konditorei Schwarzwälder Kirschtorte essen, und über das gerade Erlebte nachdenken. Und ich kam zu dem Schluß (ich bin ein hoffnungsloser Optimist): „Selbst wenn es sich bis jetzt nicht rentiert, solche Käse anzubieten – irgendwann wird es so weit sein.“

Und dann – hörte ich nichts mehr aus Gersbach. Keinen Piep. Bis sich im Mai, zehn Jahre später, plötzlich Isabel bei mir meldete, die Tochter der Arangos. Sie sei regelmäßig in Berlin, und ob sie mir wohl Käse zum Probieren bringen dürfte?

Und ob! Was war dabei: eine große Silberdistel. Der Hammer, siehe oben. Noch besser: Isabel kommt mit ihrem Partner Matthias (und hoffentlich ihren Eltern!) und Silberdisteln zur Cheese Berlin im November. Vielleicht ist mein Optimismus doch nicht so hoffnungslos.

Chäs-Chuchi Gersbach
Wehratalstr 12
79650 Gersbach
Tel. 07620 1579

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