Käse des Monats Dezember 2018: Endamı Nur von Miralem/İzmir, Türkei

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Wie ich in meinem Buch „Vom Käsemachen“ (ja, stimmt, ist ein perfektes Weihnachtsgeschenk!) schreibe, empfinde ich den Käse wie einen Leitstern. Und wie die immer größere Schar der Heinzelcheesetalker weiß, hat er mich schon in die unwahrscheinlichsten Ecken geführt und mit den wunderbarsten Käse und Erinnerungen heimkehren lassen. Natürlich fahre ich manchmal auch ganz gezielt zu einem bestimmten Produzenten oder in eine bestimmte Region. Aber am erstaunlichsten ist immer das, was einfach passiert (erinnert Ihr Euch an den Camembert aus Vietnam?!). So auch bei diesem Käse, aus Ziegenmilch, von Canan Urhan, aus İzmir.

Meine Freundin Gamze, Foodscout extraordinaire, hatte mich zu einem Gastrofestival eingeladen. Die Stadt am Meer erinnerte mich an Thessaloniki, auf der anderen Seite der Ägäis, das Wetter war traumhaft, die Menschen gut gelaunt. Ein bißchen nervös war ich trotzdem, weil ich ohne groß nachzudenken zugesagt hatte, einen Heinzelcheesetalk mit Weinen und Käse aus İzmir zu moderieren. Wie viele Weine aus diesem alten Anbaugebiet (İzmir hieß einst Smyrna!) kannte ich so richtig? Wie viele Käse hatte ich schon probiert? Beschämend wenige… dazu kam der gewohnte Clash zwischen preußischer Vorliebe fürs langfristige Planen und anatolischer Lastminute-Improvisation. Doch am Ende ist daraus immer ein Happy End geworden, und so auch hier.

Auf dem Gastrofestival im historischen Bahnhof gab es nicht nur einen Stand mit herausragendem Tulum-Käse aus İzmir (und Gevrek, wie die Simit-Sesamkringel hier heißen), sondern ich lernte auch Canan Urhan kennen, die ihre Miralem-Ziegenkäse mitgebracht hatte. Auf den ersten Blick schienen sie trotz der türkischen Namen – Aşiran, Canrüba, Endamı Nur und Tarzı Siyah – wie Kopien französischer Klassiker. Doch dann probierte ich und war überrascht über die ganz besondere Textur. Sie waren fest und dicht, aber nicht trocken, schmolzen wie ein sehr festes (aber natürlich nicht kaltes) Eis im Mund, mit einer wunderbaren Säure.

2005 habe sie ihren Sohn in Südfrankreich besucht, als er dort studierte, und sich mit einer französischen Käserin angefreundet. Eines führte zum anderen, bis Canan, die bis dahin keinerlei berufliche Ambitionen gehegt hatte, schließlich begann, zuhause in İzmir aus gekaufter Ziegenmilch Käse wie in Frankreich zu machen. Vier Sorten zeigte mir die lebhafte Mittfünfzigerin, allesamt kleine, mit Hefen und Schimmelkulturen gereifte Frischkäse. Canrüba glich äußerlich einem Crottin, Tarzı Siyah war eine kleine Rolle, Aşiran eine flache Pyramide, beide geascht. Und dann: Endamı Nur. Eine flache, für diese Art Käse relativ große Scheibe, mit einem Anflug von Brevibacterium linens, Rotschmiere, unter weißem Schimmel. Fest. Und doch schmelzend. Aber auch krümelig… warum stand ich plötzlich wieder in Erzincan, dachte an die Tulum-Käse dort? Weil diese Textur ganz ähnlich war, aber ohne Ziegenhaut und schneller gereift, ganz anders und doch verwandt.

„Mein Mann hat irgendwann diese neuen Formen mitgebracht, damit ich sie ausprobiere. Wollte ich nicht, weil ich dafür kein französisches Vorbild hatte. Aber dann war ich doch neugierig. Letztendlich hat es einige Experimente gebraucht, bis ich die richtige Höhe und Reifetemperatur raushatte… aber jetzt ist es der Lieblingskäse meiner türkischen Kundschaft!“

Das verstehe ich gut. Denn es ist auch, noch mehr als die anderen Miralem-Käse ein absolut eigenständiger Charakter, der durch die Erfahrung mit französischen Methoden entstanden ist, aber auch der anatolischen Kultur der Tulum-Käse Reverenz erweist. Drei Wochen war er alt, als ich ihn zum ersten Mal in İzmir erlebte, und er vertrug sich bestens mit den kräftigen Rotweinen von Urla, Urlice und Lucien Arkas. Jetzt liegt er fünf, sechs Wochen später im winterkalten Berlin vor mir, ist ein wenig selbstbewußter, aber alles andere als scharf – und ich denke, ich werde heute Abend zu seinen und Canans Ehren eine Flasche Öküzgözü öffnen und auf den Leitstern trinken.

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