Kappadokien: Heißluftballons, Höhlen – und Wein!

Vergangenheit in einer Art Zeitmaschine tatsächlich erfahren zu können, statt nur darüber zu lesen, finde ich eines der spannendsten Erlebnisse überhaupt. Die immer noch sehr lebendigen Verbindungen zu den Anfängen unserer Kultur sind einer der Gründe, warum mich die Türkei so fasziniert (ich weiß, ich habe lange gebraucht, um endlich an den Bosporus zu kommen). Und ja, „erfahren“ schließt Wein schmecken mit ein (ein großer Pluspunkt aus Heinzelcheese-Sicht!).

the valleyNatürlich entstehen aus den alten Sorten Öküzgözü und Boğazkere heute ganz andere Weine als zu Zeiten der alten Hittiter, Assyrer oder Aramäer. Aber die Verbindung existiert nach wie vor, und Wein ist als Kulturprodukt sowieso zwangsläufig Ausdruck seiner Umwelt, der Bedingungen, unter denen er entsteht. Meine Faszination begann mit Öküzgözü aus Elazığ weit im Osten Anatoliens, im Quellgebiet des Euphrats (mehr über diese Liebe auf den ersten Blick hier). Dann landete ein Rotwein aus Kappadokien in meinem Glas (mehr darüber hier), auf dessen pinkpoppigmodernem Etikett rote Heißluftballons schwebten.

Kappa tuff stoneInzwischen weiß ich, daß Kappadokien mitten in Anatolien liegt und tatsächlich so wunderschön ist wie auf den Werbeplakaten (um das gleich mal von vornherein klarzustellen). Und daß hier wirklich in den (sehr) frühen Morgenstunden unzählige Heißluftballons am Himmel stehen. Allerdings sind die ein relativ neues Phänomen und wohl erst vor etwa 15 Jahren von einem Niederländer „importiert“ worden. Viel älter und gänsehautspannend sind hingegen die in den weichen, aber stabilen Tuffstein gegrabenen Höhlen, die ganze Dörfer bilden und bis heute als Vorratsräume, Wohnungen und Hotels (Taşkonaklar in Uçhisar!) genutzt werden.

Foto 3-1Verfolgte Christen versteckten sich hier im 10./11. Jahrhundert – Göreme mit seinen eindrucksvollen Kirchen ist ein Muß. Höhlen ist an sich eine irreführende, beinahe diskriminierende Beschreibung, denn eigentlich handelt es sich nur um die umgekehrte Bauweise eines Hauses: es ist alles schon da, und man schafft Raum, statt wie sonst die Hülle aufzubauen. Der geschätzte Leser merkt: ich könnte jetzt hier endlos über Kappadokien, Landschaft und Geschichte schreiben. Mais revenons à nos moutons – Wein! Natürlich ergibt das besondere Klima auch hervorragende Weinkeller.

Kocabag winery interiorDas Weingut Kocabağ bei Nevsehir ist wie so vieles in der Türkei eine Mischung aus alt und neu; der poppige Ballon-Wein, eine Cuvée aus Öküzgözü und Boğazkere vielleicht der gegenwärtig modernste Ausdruck der alten Sorten. Er ist durch die Zusammenarbeit des österreichischen Wein-Unternehmers Laurenz Moser, des Istanbuler Geschäftsmanns Memo Mizanoglu und Memduh Erdoğan entstanden, der das 35 Hektar große Weingut  heute mit seiner Familie führt. Sein Vater baute Trauben an, konnte die Anfang der 1970er aber umvorgesehen nicht los werden und beschäftigte sich daher mit dem Weinausbau.

team behind KocabagSeit Mitte der 1980er liegt der Schwerpunkt hier im Gegensatz zu vielen anderen türkischen Betrieben bis auf etwas Cabernet Sauvignon ganz auf einheimischen, autochthonen Sorten (obgleich neue Weinberge mit Grünem Veltliner geplant sind, und bevor das jetzt geringschätzig als abwegige Idee abgetan wird: einen der besten GV habe ich im April bei Dr Frank an den Finger Lakes im Staat New York erlebt). Auch eher ungewöhnlich: die Weine werden frucht- statt holzbetont ausgebaut – hurra! Bei den Weißweinen ist Narince ausdrucksvoller als der sehr leichte Emir, bei den Roten fällt Öküzgözü hier viel zarter aus als in Elazığ, und der Boğazkere ist mit großer Sicherheit der eleganteste Wein, den ich je aus dieser Sorte auf der Zunge hatte.

Label3Superlecker auch der lachsrotgoldene Rosé aus der Sorte Kalecik Karası mit dem sehr treffenden Namen Velvet (und zumindest bei der Abfüllung, die ich verkostet habe, obergrässlichem Etikett – Memo, Memduh, Laurenz, bitte tut was, das hat er nicht verdient!). Allesamt großartig zum Essen (Dolma, Karma, Lamm mit Aprikosen… glücklicherweise ging es beim morgendlichen Joggen auch schweißtreibend bergauf). Und das Beste: im Gegensatz zu dem, was ich an dieser Stelle ursprünglich geschrieben hatte, läßt sich die Zeitmaschine auch erleben ohne nach Kappadokien zu reisen, denn zumindest einige der erwähnten Weine sind in Deutschland hier erhältlich. Allerdings sollte ich jetzt vielleicht eine Warnung zufügen – es könnte sein, daß die Lust aufs Reisen nach Genuß dieser Weine steigt…

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