Käse-Menschen: Anne Saxelby in New York City

Trauriges Update im Oktober 2021: 2014 habe ich Anne Saxelby in New York besucht, seitdem gehörte sie zu den Heldinnen meiner Käsewelt. Letztes Wochenende ist sie vierzigjährig gestorben – sie hat soviel in Bewegung gebracht. Ich bin dankbar, ihr begegnet zu sein.

Anne Saxelbys Geschichte ist journalistischer Traumstoff und deshalb auch schon ziemlich oft erzählt worden. Aber genau davon leben Geschichten, vom Erzähltwerden, immer wieder, und immer noch einmal… Also: eine schöne junge Frau zieht aus einem Vorort von Chicago fürs Kunststudium nach New York City und arbeitet danach in Galerien und Museen. Doch das so glamourös klingende Leben gefällt ihr nicht wirklich. Die Kunst-Welt ist ihr im wahrsten Sinne des Wortes zu gekünstelt und abgehoben, und sie beschließt, von Gemälden und Skulpturen auf Wein und Käse umzusatteln.

Foto 3Weil sie beides ausprobieren möchte, teilt sie ihre Arbeitswoche eine Weile zwischen zwei Jobs auf, beim berühmten New Yorker Käsehändler Murray’s und dem ebenso anerkannten Weinhändler Chambers Street. Sie erkennt ziemlich schnell, wo es sie mehr hinzieht: „Der Käse hat mich richtig gefangen genommen,“ erzählt sie mir, als ich sie vor kurzem in ihren Lagerräumen in Red Hook/Brooklyn besuche, „das war ein solches Vergnügen, viel weniger Angeberei und Snobismus.“ Gesagt, getan. Sie arbeitet bei Cato Corner Farm in Connecticut, absolviert Praktika bei Käsern an der Loire und lernt das Affinieren in den Käsekellern von Hervé Mons. „Kunst und Käse haben ziemlich viel gemeinsam, man muß kreativ sein und voll und ganz dabei. Aber im Gegensatz zur Kunst gibt es beim Käse kein großes Rumgerede, es ist alles viel direkter. Man entscheidet mit den Geschmackspapillen, mag einen Käse oder eben nicht. Käse wird gegessen, und er macht die Leute glücklich.“

Im Dezember 2005 kommt sie zurück in die USA und schreibt einen Businessplan: „Das war ein Riesenschritt, besonders hier in New York.“ Glücklicherweise findet sie schnell einen passenden Laden für ihr neues Käse-Leben, und im Mai 2006 eröffnet Saxelby’s im Essex Street Market in der Lower East Side. Laden ist eigentlich zuviel gesagt, es ist mehr eine Luke, halb Kühllager, halb Verkaufstresen. „Ich mußte mich sehr einschränken und beschloß daher, ausschließlich Käse aus dem Nordosten der USA anzubieten; anfangs waren es um die 15 Erzeuger.“ Das Unternehmen ist seitdem langsam aber stetig gewachsen, heute arbeitet sie je nach Jahreszeit mit 40 bis 50 Höfen, nach wie vor aus den Staaten rund um New York, mit ein paar Ausnahmen aus Wisconsin, wahrscheinlich bald etwas Kalifornien und ein wenig französischem Käse für Daniel Boulud’s Epicerie.

Wie bei uns in Deutschland war es trotz der relativen Nähe nicht einfach, die Transporte zu organisieren, weil es keine etablierten Distributionsnetzwerke gibt. Anne Saxelby hat in dieser Hinsicht einiges bewegt, aber es bleibt wegen der kleinen Mengen eine ihrer größten Herausforderungen. „Es ist das absolute Gegenteil von Wisconsin, wo jeder in Käse unterwegs ist und der Staat viel Unterstützung bietet.“ Aber sie wäre nicht dort, wo sie heute ist, mit einem Lager in Brooklyn, für die 90 Prozent ihres Unternehmens, die im Großhandel stattfinden, inmitten all der duftenden Köstlichkeiten, wenn sie dies mit einem Seufzer sagen würde. Sie packt es einfach an, zusammen mit ihrem Geschäftspartner, denn schließlich geht es um den Käse als solchen. Und dann verkosten wir zusammen einen Käse von Peter Dixon aus Vermont, der uns beiden sehr gut gefällt und Magic Mountain heißt, Zauberberg. Vielleicht liegt er beim nächsten Einkaufstrip im Essex schon in der kleinen Theke… Und jetzt mal ehrlich, ist das nicht eine schöne Geschichte?

PS Es ist ein bißchen peinlich, aber ich kann mich einfach nicht erinnern, wo ich das Folgende gefunden habe und von wem es stammt. Es ist aber so treffend und an dieser Stelle so passend, daß ich es mit einem großen SORRY trotzdem stehen lasse: „Die Distributionskanäle für regionale Höfe sind im Gegensatz zu den extrem effizienten Netzwerken, die die Supermärkte und Restaurantketten versorgen, unterentwickelt. Nischenprodukte in für Köche interessanten Mengen schaffen es oft nicht zu den Restaurants, die damit gerne arbeiten würden. Das sind echte Sorgen, die nicht einfach weggeredet werden dürfen. Regional erfordert mehr Nachdenken und mehr Investitionen. Darüberhinaus, wenn man sich einmal einer Ideologie verschrieben hat, bei der es um Wahrheit und Anstand geht, will niemand etwas von den Hindernissen auf dem Weg zum heiligen Gral hören. Erklärungen werden als Ausreden und Schwäche interpretiert, alles unter 100% schnell als Täuschungsmanöver aufgefaßt oder zumindest als Hype. Aber die Distributionsprobleme sind eine Tatsache.“

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