Heinzelwein-Dreier für den November 2021: Neues wagen, mit zwei Weinen vom Weingut Rudolf May in Retzstadt/Franken, und der Küchen-Aktivistin Joshna Maharaj

Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.

Es ist eine Platitüde, ja, und doch wert, immer wieder in Erinnerung gerufen zu werden: Leben ist ständige Veränderung. Punkt. Damit anheim gehen trotzdem beinahe immer: Befürchtungen, Aggression, und dadurch auch Trägheit und Widerstand. Mutlosigkeit. Warum nur macht uns das Neue und Ungewohnte soviel Angst? Fängt schon mit den Jahreszeiten an (und hört auf politischer Ebene beileibe nicht auf – aber das ist eine andere Geschichte): Herbst, dunkel, feucht – jammer. Na und? Licht und Wärme kommen auch und vor allem von innen.

Also, Wein ins Glas. Von einem, der’s gewagt hat: Rudi May. Ein Familien-Weingut, 16,5 Hektar, in Franken, Retzstadt, eine kurze Autofahrt nördlich von Würzburg. Spitzenbetrieb, vor allem Silvaner, die Weine regelmäßig ganz oben auf den verschiedenen Treppchen der Weinwelt. Das Überraschende dabei: Bis Ende der 1990er Jahre gab es gar kein Weingut Rudolf May. Reben sind hier zwar bis zurück zu Karl dem Großen belegt, aber noch für die Generation von Rudis Vater hieß das übliche Betriebsmodell gemischte Landwirtschaft, „da hat man die Trauben einfach an die Gebietswinzergenossenschaft abgeliefert“, basta. Und doch lernte Rudi Winzer – und wollte bald sein eigenes Weingut gründen, weil er es satt hatte, die Trauben der alten Stöcke aus den steilen, vom Muschelkalk geprägten Lagen in der Masse verschwinden zu sehen. Ein Riesen-Wagnis. Denn einziges Startkapital: 1,5 Hektar Weinberge vom Vater. „Es war echt ein Abenteuer, eine Million Euro zu investieren, aber jetzt läufts ganz gut“ – lakonisches Understatement.

Neues gewagt. Mit großartigem Ergebnis: Weine, die ausnahmslos von einer sehr klaren, präzisen und ruhigen Art bestimmt sind. Die nicht mit Frucht spielen, sondern über eine tief mineralische, steinige, kräutrige Stimme verfügen, durch die stets präsente, aber nie spitze Säure frisch und transparent wirken, als blicke man auf den Grund eines Gebirgsbachs… O-Ton Rudi: „Die Kunst ist, möglichst viel wegzulassen und die Mostgewichte eher niedrig zu halten. Ich will zeigen, daß der Silvaner zu den großen Weißweinen der Welt gehört.“ Einzig der Spätburgunder ist ihm neben dem Silvaner wirklich wichtig (und auch das schmeckt man!).

Deshalb hier für Euch: 2020 Silvaner aus dem Rossthalberg, beinahe rauchig, mit einem tiefen, gelben Leuchten wie das Herbstlaub, viel guter, doch nie aggressiver Säure wie die Luft im November, Anklängen von Frucht wie mürbe Äpfel und doch nicht fruchtig als solches. Möchtet Ihr zu Kürbis in jeder Form, Ziegen- und Schafskäse wagen! Ebenso ausgewogen, ruhig und bestimmt, dabei kernig und transparent: 2019 Spätburgunder Langenberg – braucht und verdient viel Luft und Zeit.

Fragt mich jetzt bitte nicht, wie ich von Retzstadt nach Toronto komme – steht einfach an, also wagen: Denn noch mehr Neues als in den fränkischen Reben muß bitte in der Gemeinschaftsverpflegung gewagt werden, Kantinen aller Art, von Kita bis Krankenhaus. Es kann nicht angehen, daß ausgerechnet dort das meiste Essen im Müll landet. Eine der aktivsten Stimmen auf diesem Gebiet gehört der wunderbar wortgewaltigen Wahl-Kanadierin Joshna Maharaj. Die Profiköchin hat sich ganz bewußt für Gemeinschaftsküchen entschieden und schon viel bewirkt, in einer Volksküche, einem Krankenhaus und einem Uni-Campus. In ihrem Buch Take Back the Tray berichtet sie davon sehr offen und macht Mut zum Wagnis des Veränderns – im Krankenhaus etwa aus frischen regionalen Zutaten von Grund auf lecker kochen – was übrigens Patrick Wodni hier in Berlin in der Havelhöhe umgesetzt hat, bevor er die Kantine Zukunft mitgegründet hat… Joshna schreibt:

„From all the work I’ve done, conversations I’ve had, and stories I’ve heard, it always seems to come down to the same thing: nobody with any real power cares enough about food to do anything differently. There is a lack of understanding about the role that good food plays in supporting health and well-being, education, and rehabilitation. If we truly understood how vital it is to invest in our food systems and, ultimately, ourselves, we wouldn’t make it such a low priority. This is a story about the deep disconnection between people and their food.“

Genau. Guter Wein aus gesunden alten Stöcken, gutes Essen für alle. Ist das wirklich so ein Wagnis oder gar etwas, wovor man Angst haben sollte? Genießt den Herbst mit all den Veränderungen, die er mit sich bringt und bringen kann.

Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen , und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedicht- oder Musikform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein und Worten begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: Rudis Weine gibt es hier und Joshnas Buch hier. Trinken, schmecken, lesen, denken, leben (- wagen!) müßt Ihr wie immer selbst – keep safe.

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