Der Heinzelwein-Dreier ist eine monatliche Serie, die Ihr hier abonnieren könnt.
Ich denke meistens schon lange vor dem Schreiben darüber nach, was ich Euch hier ans große Weinherz legen soll, und welche Worte oder Töne am besten dazu passen. So war mir schon vor Tagen klar, daß Ihr unbedingt den Yapıncak (Rebsorte, weiß) von Paşaeli (Weingut) aus Tekirdağ am Marmara-Meer (zwischen Schwarzem Meer und Bosporus, also Istanbul) kennenlernen müßt. Weil er nicht vordergründig fruchtig schmeckt, sondern an getrocknete Apfelschalen und Lindenblüten erinnert, weich, beinahe balsamisch in der Säure ist und doch voller Leben steckt. Seyit Karagözoğlu hat das Weingut vor 20 Jahren gegründet und gehört zu den Pionieren des türkischen Weinbaus der Moderne. Das spiegelt sich auch auf den Etiketten wieder: hier ist ein Blaufisch abgebildet, ein großer Raubfisch, türkisch Lüfer, der zusammen mit vielen anderen Fischen im Herbst vom Schwarzen Meer ins wärmere Mittelmeer zieht. Sein öliges Fleisch gilt als absolute Delikatesse zum Yapıncak; er darf aber nicht mehr kommerziell gefischt und angeboten werden, weil die Bestände stark gefährdet sind. Sardinen, Makrele und Kieler Sprotten passen auch ganz großartig.
Dann hat dieser Wein allerdings plötzlich eine besondere Bedeutung bekommen, da die Weinberge von Paşaeli zur Hälfte in Tekirdağ und zur anderen Hälfte bei Izmir liegen, wo gestern die Erde gebebt hat – und uns im Moment nicht viel anderes bleibt, als das Beste zu hoffen.
Hoffnung… soviel Schatten, und nicht einfach, immer wieder das Licht zu finden. Ich habe mich gerade intensiv mit Riesling Kabinett auseinandergesetzt, diesen alkoholleichten Weinen (um die acht oder neun Prozent) mit etwas von den Hefen nicht vergorenem Zucker aus den Trauben (meist zwischen zehn und dreißig Gramm – pro Liter!!). Die besten davon sind voller lebendiger Säure und tiefer, spannender Würze aus dem Boden – und deshalb voller Licht. Als Apero, einfach so, als Dessert, zum Thai-Curry…
Stellvertretend für viele andere hier der 2019 Riesling Kabinett aus der Piesporter Lage Goldtröpfchen vom Weingut A.J. Adam in Dhron, aus über hundert Jahre alten, wurzelechten Reben – ich könnte jetzt lange Aufzählungen von Fruchtaromen etc etc anschließen, das Großartige an diesem Wein (und anderen seiner Art) ist aber, daß er das nicht braucht. Deshalb: Jazz. Weil der oft eine ganz ähnliche Spannung zum Ausdruck bringt. Zum Beispiel Miles Davis 1964 in der Berliner Philharmonie: So what.
Und weil ich neulich in einem Interview mit Wynton Marsalis gelesen habe, Jazz sei Demokratie in musikalischer Form: „You’ve got your individual rights – that’s improvisation. You’ve got your responsibility to the group – that’s swing. And you have your optimism and belief that your will and reasoning and choices can make a difference – that’s the blues.“ YES. Hört Wynton Marsalis selbst. And be good.
Die Idee dieser monatlichen Empfehlungen: Zwei Flaschen, und zu den flüssigen Geschichten außerdem eine in Worten, oft in Gedicht- oder Musikform – das ist der Heinzelwein-Dreier. Kein Verkaufsformat, sondern der Versuch, zumindest einen Teil dessen, was mir so an Wein begegnet, mit Euch zu teilen – abonnieren könnt Ihr diese Serie hier. Und damit Ihr nicht lange suchen müßt: den Yapıncak könnt Ihr hier bestellen, das Goldtröpfchen hier – mehr von Miles und Wynton findet Ihr selbst. Trinken, schmecken, hören, denken, leben müßt Ihr sowieso wie immer selbst – keep safe!