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Ich habe auf meiner Tour durch den Nordosten der USA, mit Käse und neuem Buch unterm stolzen Arm, immer wieder davon erzählt: was mich eigentlich zum neuen deutschen Käse gebracht hat, mit ganzem Herz und Seele (und hoffentlich mehr als ein bißchen Hirn), war eine Verkostung amerikanischer Käse. Und deshalb heißt mein Käse des Monats Humboldt Fog, seines Zeichens Ziegenkäse aus Nordkalifornien.
Hier ist die Geschichte: es ist alles eine ganze Weile her, damals, in den Tagen unmittelbar nach 9/11, und es geschah auf der Slow Food Cheese, der großartigen Käsemesse, die alle zwei Jahre in Bra im Piemont stattfindet. Ich hatte wenige Monate zuvor beschlossen, fortan ausschließlich, voll und ganz als Wein-und Essenschreiberin zu arbeiten, und ich war auf der Suche nach Stories, und ich schaffte es irgendwie nach Bra, trotz der nervigen italienischen Obsession mit dem „Sciopero“, aka Streik, und ich fühlte mich unerfahren und unprofessionell… Naja, wie das halt so sein kann als Anfänger. Als ich endlich in Bra ankam, waren alle interessanten Verkostungen ausgebucht. Ich starrte auf das ausgesprochen un-coole Rest-Angebot und entschied mich für „Amerikanische Ziegen- und Schafskäse“ – würde bestimmt witzig werden und sich vielleicht sogar als witzige Geschichte verkaufen lassen. Bevor jetzt eventuelle amerikanische Leser empört den Kommentar-Button malträtieren – das ist alles nicht persönlich gemeint, UND es ist 13 Jahre her!
Damals war der Ruf des amerikanischen Käse aus europäischer Sicht nicht viel besser als der des deutschen Rieslings im Land von Ms Liberty – Scheibletten und Co. Da saß ich also, die Nase ganz weit oben – und dann präsentierte Rob Kaufelt vom legendären New Yorker Käseladen Murray’s Cheese sechs absolut grandiose, eigenständige, köstliche Käse. Ich fühlte mich so klein mit Hut… und ging nach der Probe zu ihm nach vorne, bedankte mich, und vor allem: entschuldigte mich. Er guckte mich etwas verwirrt an und sagte: „Warum solltest Du Dich entschuldigen? Du hast Dich doch nicht daneben benommen…“ Ich erzählte ihm von meinen Vorurteilen, worauf er entgegnete: „Das hier ist eine ganze neue Entwicklung. Lange Zeit waren unsere Käse in Plastik verpackt, sie sahen aus wie Plastik, und sie schmeckten wie Plastik!“ In diesem Moment beschloss ich, so bald wie irgend möglich so viele dieser Käseproduzenten wie möglich zu besuchen. Es dauerte einen Moment, aber 2003 fuhr ich tatsächlich nach Kalifornien, wo die meisten von ihnen lebten, und dadurch wurde mir auch endlich klar, was direkt vor meiner Haustür passierte… Wen ich auf dieser meiner ersten richtigen Käse-Recherche nicht besuchte (und es war ein ziemliches Abenteuer, weil Käser und Journalisten noch nicht so richtig wußten, was sie miteinander anfangen sollten und es in den Urzeiten vor GPS und Navis geschah), war Mary Keehn, ganz im Norden Kaliforniens. Sie riet mir sogar dringend ab, den ganzen Weg von Sonoma nach McKinleyville hochzufahren, und sie hatte wahrscheinlich recht – ich hatte keine Ahnung, wie ausgedehnt Kalifornien ist… Aber großer Käsegott – ich wünschte, ich hätte es doch getan.
Und damit kommen wir (nee, sorry: ich) endlich zum Punkt und dem Käse des Monats: Humboldt Fog. An dieser Stelle wiederum ein direkter Hinweis an eventuelle englischsprachige Käse-Buddies: ich seh Euch förmlich vor mir, wie Ihr die Nase rümpft und Euch denkt, ich sei dem Marketinggeschwafel der Industrie-Größen verfallen. Ich weiß schon, Humboldt Fog ist kein schnuckeliger, handgemachter Kleiner-Hof-Käse mehr. Ändert aber nichts an der Tatsache, daß er köstlich ist so vielen anderen Hofkäsen den Weg gebahnt hat, auf Käsebretter, die vorher nicht mal wußten, daß Ziegenkäse überhaupt existiert! Mary Keehns Geschichte ist typisch für die 1970er in Kalifornien; sie wollte aufs Land und alternativ leben, und hatte Ziegen als Frischmilchlieferanten und mußte irgendwann die Überschüsse verarbeiten… und sie kam auf die Idee, in den flachen Zylinder eine dünne Ascheschicht zu streuen, ähnlich wie beim Morbier. Trotzdem ist Humboldt Fog kein Show-Gag, weil Mary Keehn ein Gespür für ihre Ziegen hatte und mit ihrer Milch umzugehen verstand: ihr Käse ist seidig, dezent zitrusduftig und schmilzt bis zum heutigen Tage auf der Zunge wie frischgefallener Schnee. Ich weiß noch genau, als ich zum ersten Mal in San Francisco war, und vor der Theke einer Filiale der Cowgirl Creamery stand. Ich kaufte ein Stück Humboldt Fog (der natürlich nach der speziellen klimatisch-geographischen Situation da oben im Norden Kaliforniens benannt ist) und verschlang es direkt und umgehend auf dem Bürgersteig, vor dem Laden – und ging wieder hinein und kaufte noch ein Stück. 2010 hat Mary Keehn Cypress Grove an die Schweizer Firma Emma verkauft – aber Humboldt Fog ist nach wie vor die Einstiegsdroge für Käse-Novizen – und immer noch direkt-essen-wollen-köstlich.
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