„Ohne Fisch gibt es für uns keine Zukunft,“ sagt Zita Cobb ganz unverblümt. Aber sie sagt auch: „Wir müssen das Alte neu erfinden, die Vergangenheit mit der Zukunft verbinden.“ Hinter diesen Aussagen stecken Starrsinn, Mut und eine Vision, die weit über die kleine Insel hinausreicht, für die sie ursprünglich entstanden ist, und eigentlich uns alle betrifft.
Zita Cobb, 61, mit kurzen grauen Haaren und wachen blauen Augen, agil und entschlossen, ist die achte Generation einer Familie von Fischern auf Fogo Island, 45 Minuten mit der Fähre nordöstlich vor der Hauptinsel Neufundlands gelegen. Wenn Neufundländer von Fisch sprechen, meinen sie bis heute Kabeljau, ohne ihn gäbe es das „neu gefundene Land“ nicht in seiner heutigen Form. Als „Entdecker“ John Cabot sich 1497 auf der Suche nach der Westpassage nach China mit seiner kleinen Flotte der Labrador vorgelagerten Insel näherte, dem nordöstlichsten Zipfel Nordamerikas, waren die Kabeljau-Schwärme so dicht, daß er nach England meldete, seine Schiffe hätten Schwierigkeiten voranzukommen. Kabeljau war damals ein weltweit gefragter Stoff, an dem sich vor allem Engländer und Iren hier fortan reichlich bedienten, ihn gesalzene und getrocknet als Klippfisch handelten, Bacalao. Fünf Jahrhunderte lang orientierten sich Kultur, Wirtschaft, Sozialstrukturen der Neufundländer am Angeln, Fangen, Salzen, Trocknen – und dann waren sie weg, die Schwärme.
Das hatte sich bereits Ende der 1960er abgezeichnet, war in den 1970ern kaum mehr zu ignorieren und wurde schließlich mit dem Moratorium von 1992 für die durch internationale Hochseefischerei extrem dezimierten Bestände mit einem nahezu kompletten Kabeljau-Fangverbot besiegelt. Natürlich gibt es andere Wirtschaftszweige – vor allem Minen und das Erdöl – aber das Wissen um Bootsbau, Fischvorkommen und -verarbeitung – nun wertlos. Die vielen Outports, extrem abgeschiedene winzige Siedlungen am Wasser, Wind und Wetter ausgesetzt – plötzlich sinnlos. Die Existenz auf Neufundland als solche, das von den Einheimischen auch als „the rock“, der Fels bezeichnet wird – warum noch? Als habe ihnen jemand den steinigen Boden unter den seeganggewohnten Füßen weggezogen, verfielen die Alten in frustrierte Armut, die Jungen zogen weg.
Doch eine kam zurück: Zita Cobb. Sie stieß auf Fogo Island ein mutiges Projekt an – und leistet damit Pionierarbeit für unzählige kleine Communities weltweit, nicht zuletzt im ländlichen Raum in Deutschland, deren wirtschaftliche, politische und kulturelle Grundlagen sich ebenso gewandelt haben. Zu Bettensiedlungen verkommene Dörfer ohne Lebensmittelpunkt – Zita Cobb und Fogo Island zeigen, daß die dort lebenden Menschen, ihr Verhältnis zur Natur, ihr Wissen und ihre Erfahrungen einen besonderen Wert darstellen.
Denn inzwischen gibt es auf Fogo, einem dieser besonderen Orte, ein Hotel und Restaurant der besonderen Art, geführt von besonderen Menschen. Ein Künstlerprogramm, das anders als andere ist. Einen Geologen, der die einzigartige erdgeschichtliche Struktur der Gletscher, Moränen und Findlinge, all die tektonischen Verwerfungen des vulkanischen Urgesteins, in die Gegenwart bringt. Eine Bank für Minikredite, die die Gründung neuer Unternehmen ermöglicht, Cafés, Läden. Es gibt Forschungsprojekte mit Wissenschaftlern, um den Fisch besser zu verstehen. Und hinter allem steckt die Idee der Gemeinschaft, die das eigene Schicksal in die Hand nimmt. Das ist das Grundprinzip der Shorefast Foundation, wie Zita Cobb ihr Projekt nach dem Tauwerk genannt hat, mit dem Boote am Ufer befestigt werden. Die gemeinnützige Stiftung gehört den Bewohnern von Fogo, soll die Lebensqualität auf der Insel steigern und neue Impulse für die lokale Wirtschaft schaffen, auf nachhaltige, umwelt- und ressourcenschonende Weise. Fogo bildet dabei die Speerspitze einer Bewegung, die in Ansätzen in ganz Neufundland zu beobachten ist.
Was wissen wir über Neufundland, diesem Felsen, der sich auch als letzter Posten Europas vor der Küste Nordamerikas bezeichnen ließe? Wahrscheinlich viel zu wenig. Der Anflug auf St. John’s, die Hauptstadt im Südosten auf der Avalon-Halbinsel, zeigt die vielen Seen wie große Pfützen, als sträube sich das Wasser, das Land loszulassen. Vereinzelte Häuser klammern sich an Klippen. Felsen. Dünnes Grün. Fichten, Lärchen, Erlen, Flechten. Wieder Wasser, Felsen, Sumpf, dann wieder: Wasser. Der Fels ist etwa so groß wie Japan, wird aber nur von einer knappen halben Million Menschen bewohnt, von denen wiederum der größte Teil in und um die Hafen- und Hauptstadt St John’s lebt, kein Outport, aber zumindest aus europäischer und nordamerikanischer Perspektive ein Outpost…
Neufundländer sprechen von Townies und Baymen, also Stadt- und Landbewohnern, und sind unabhängig davon ein wirklich ganz eigener Schlag; pragmatisch, störrisch und gutmütig. Was natürlich mit ihrer Geschichte zu tun hat. Wie in dem Kulturzentrum The Rooms in St John’s sehr anschaulich dargestellt, stammten die Siedler zumeist aus ärmlichsten Verhältnissen (und selbstverständlich war Neufundland bereits zuvor besiedelt, der letzte der Beothuk, eine der First Nations Kanadas, starb 1829). Zuerst waren sie Saisonarbeiter, doch ab 1790 blieben viele, die Frauen kamen nach, man baute sich gegen alle Widrigkeiten eine Existenz auf. In den Outports, meist nur übers Wasser erreichbaren Buchten nahe der besten Fischgründe, waren sie dann über Generationen im Verlagswesen den Händlern ausgeliefert. Die versorgten sie mit Salz, Fleisch, Tee, Mehl, Nägel und anderen Notwendigkeiten und kassierten dafür den Klippfisch – zu ihren Konditionen. Ohne Geld, ohne Banken, ohne Alternative. „Man sitzt auf einer Insel fest und schlägt sich irgendwie durch, weil man aus dem Nichts gekommen ist und auf keinen Fall zurück will“, drückt es ein Neufundländer aus. Gesunder Pragmatismus also, der aber nicht unbedingt für Selbstvertrauen sorgte.
Die Insel entwickelte sich von der Fischerkolonie zur britischen Kronkolonie, doch als Londons Finanzen nach dem zweiten Weltkrieg darnierderlagen, suchte man sich wenig einträglicher Gebiete zu entledigen und hielt 1949 eine Volksabstimmung ab. Ein äußerst knappes Ergebnis führte dazu, daß der Fels zusammen mit Labrador Kanadas zehnte Provinz wurde. Aubrey Payne, knapp 70 und Fischer im Ruhestand auf Fogo Island, sagt: „Wir hätten uns lieber den USA angeschlossen, an der Nordostküste dort sind sie Fischer wie wir. Über Kanada wußten wir nicht viel, wir wußten nicht mal viel über diese Insel. Straßen, Strom, das kam alles erst danach.“
Der damalige Premierminister Joey Smallwood ist für viele bis heute ein Volksheld, da er in der Folge die Infrastruktur mit Bundesgeldern konsequent modernisierte und aus dem tiefen 19. ins 20. Jahrhundert brachte. Andere, wie Zita Cobb, kommentieren eher verbittert: „Er züchtete Schweine, die Fischerei hat er verachtet.“ 1965 setzte Smallwood ein Umsiedlungsprogramm für die Outports durch, deren Versorgung besonders schwierig und alles andere als effizient war. Umsiedlungsprämien brachten die junge Generation in Versuchung und die Älteren unter Druck, da Familien und Outports nur einstimmig umsiedeln konnten – entweder in bereits besser erschlossene, sogenannte Growth Centres in Neufundland oder gleich aufs Festland. „Die 700 Dollar, die Smallwood den Familien für die Umsiedelung bot“, erinnert sich Aubrey Payne, „das war viel Geld. Wir waren wirklich arm, besonders in den Outports. Die englischen Händler zogen ab, und damit brach die ganze Wirtschaft zusammen, viele waren am Rande der Verzweiflung.“
Etwa 300 Fischersiedlungen wurden so preisgegeben, nahezu 30.000 Menschen umgesiedelt. In manchen Fällen mag das positiv erlebt worden sein, in vielen gingen jedoch tiefe Beziehungen zu jenen Orten und der eigenen Identität verloren. Selbst wenn sie nur einige Buchten weiterzogen, kannten sich die zuvor unabhängigen und selbständigen Menschen dort nicht aus, waren ihnen die Fanggründe fremd. Die meisten landeten über kurz oder lang in der Arbeitslosigkeit. Schulbildung war nie für wichtig erachtet worden, wie Zitas Vater Lawrence konnten die meisten weder lesen noch schreiben – „das hatte in ihrem Leben bis dahin nichts bedeutet, war ebenso abstrakt wie Geld“, erklärt seine Tochter.
Bruce Miller, 60, bärtig und wettergegerbt, bietet heute in New Bonaventure an der Trinity Bay nordwestlich von St John’s Bootstouren zu verlassenen Outports an. Aufgewachsen ist er mit seinem Onkel Jack, damals einem der besten Fischer der Gegend. Gischtsprühend geht es zuerst am Filmset von Cape Random vorbei, wo die Neufundlandsaga Random Passage von Bernice Morgan verfilmt wurde (eine großartige Einführung in die Geschichte Neufundlands!), dann weiter zum Geburtsort von Bruce Miller, Kerley’s Harbour. Oder vielmehr den wenigen Überresten davon; während das Boot in der ruhigen Bucht leise schaukelt, zeigt er alte Bilder und erzählt vom Tag des Umzugs, wie sein Onkel 1963 zurückblickte auf die kleine Kirche und den Friedhof, auf dem seine Eltern lagen, und ihn, den harten Fischer, dieser Abschied so schmerzte, daß er Zeit seines Lebens nie in der Lage war, darüber zu sprechen. „Überall hier waren flakes“, sagt sein Neffe, die hölzernen Gestelle, auf denen die eingesalzenen Fische zum Trocknen ausgebreitet wurden – und es trifft einen als Schock, wie wenig nach nur fünfzig Jahren durch Regen, Eis und Schnee von diesem Leben noch zu erkennen ist. Bruce Miller meint, mit weniger Druck und ohne die Zahlungen wären die Alten mit der Zeit von selbst zu den Enkeln gezogen, ohne all das Leid.
„Mein Onkel war ein echter cod killer“, erzählt er weiter – was nicht nur auf harter Arbeit basierte, sondern auch einem besonderen Instinkt für die besten Fanggründe. Die Schwärme kamen im Juni oder Juli, dann fuhren die Männer zu zweit hinaus mit Netzfallen, den cod traps, während die Frauen auf den stages, den Landestegen, fürs Zurichten, Salzen und Trocknen verantwortlich waren – je schneller das passierte, desto besser die Qualität und desto höher der Tauschwert beim Händler. In Lake gesalzener Fisch war wertvoller als trocken gesalzener, erforderte aber sorgfältige Planung der vorhandenen Trockenfläche, damit er in der Lake nicht zu gären begann – „meine Tante Lizzy war der stage boss!“
Als Anfang der 1960er moderne Kühlmethoden Einzug hielten, wurde der Salzfisch allmählich vom Frischfisch verdrängt: es genügte nun, den Fang bei der staatlichen Annahmestelle anzulanden, die Stages verloren ihren Sinn und Zweck, das Leben miteinander veränderte sich. Denn bis dahin war „der Fisch“ war ein Familien-Unternehmen gewesen, jeder hatte seine Aufgaben und trug Verantwortung. „Wenn das Wetter nicht 150% zuverlässig aussah, mußten wir als Kinder in der Nähe bleiben, um den ausgebreiteten Fisch schnell vor dem Regen ins Trockene zu bringen “, erzählt Bruce Miller. Auch Kabeljau-Zungen, wie die Bäckchen eine wahre Delikatesse, wurden von den Kindern aus den Köpfen geschnitten.
„So lernten wir das Miteinander“, faßt Zita Cobb es zusammen. Die Summe aller gelebten Erfahrung, das sei Kultur und Wissen. Und genau das wurde immer stärker in Frage gestellt, denn wenig später tauchten weit draußen, viel weiter, als je ein neufundländischer Fischer in seinem kleinen Boot gefahren war, die Riesenfischkutter auf. „Mein Vater“, sagt Zita Cobb, „fand es vollkommen absurd, daß da jemand praktisch nonstop und viel mehr Fisch aus dem Wasser holte, als er brauchte. Doch dann erkannte er erstaunt: Die verwandeln Fisch in Geld.“ Im Kontext der Tauschgeschäfte des Verlagswesens schien das vollkommen abwegig.
Zur gleichen Zeit fingen die alteingesessenen Fischer immer weniger, und die Umsiedelungsprämien lockten. Doch Smallwoods Versprechungen entpuppten sich in vielen Fällen als Luftschlösser. Es gab keine Jobs, und das Leben war anderswo nicht besser. Also konnte man ebenso gut bleiben! Auf Fogo weigerte man sich daher störrisch, die Insel zu verlassen. „Angst vor der Zukunft hatten wir trotzdem“, erinnert sich Aubrey Payne, „wir beschlossen, unser Schicksal endlich selbst in die Hand zu nehmen und eine Fischereigenossenschaft zu gründen, auch wenn wir keine Ahnung hatten, wie diese Fogo Island Cooperative Society funktionieren sollte.“
„Damals lebten etwa 5500 Menschen auf Fogo“, erklärt Zita Cobb die Situation, „einer Fläche, die viermal so groß ist wie Manhattan, in zehn Gemeinden, die sich untereinander überhaupt nicht kannten und wegen der unterschiedlichen Konfessionen mißtrauisch beäugten. Ob wohl sie alle in ihrer Existenz bedroht waren, taten sie sich nicht zusammen – bis Colin Low kam!“ Der Filmemacher wurde 1967 von der staatlichen kanadischen Filmbehörde National Film Board im Rahmen des Newfoundland Projects nach Fogo Island geschickt. Er sollte herausfinden, inwieweit Film als ein unmittelbares Kommunikationsmittel Katalysator für soziale Veränderungen sein könnte. Er und sein Team stellten ganz fundamentale Fragen, und die, so betont Zita Cobb immer wieder, gelten nach wie vor: „Was wissen wir? Was haben wir? Was fehlt uns? Was lieben wir?“ Sie drehten Filme, sie zeigten Filme (die heute online zu finden sind) und stießen damit den sogenannten Fogo Process an, an den Zita Cobb mit der Shorefast Foundation anknüpft. „Wir erkannten, daß wir alle dieselben Probleme hatten auf der Insel“, so Aubrey Payne im Rückblick. „Bald hatte die Genossenschaft über 700 Mitglieder, und wir konnten eine kleine Verarbeitungshalle einrichten. Lawrence Cobb spielte dabei eine wichtige Rolle. Doch dann zog die Familie schließlich doch nach Toronto…“
Da man sich auf Fogo so störrisch der Umsiedelung verweigerte, stellte die regionale Regierung Mittel für den Bau einer kleinen Werft bereit. In Küstennähe gab es einfach keinen Fisch mehr, also mußte man weiter hinausfahren, und dafür brauchte man größere Boote. „Mein Vater arbeitete von 1968 bis 1970 auf der Werft“, berichtet Zita Cobb, „dann erlitt er einen Herzinfarkt. Er war 62. Wenig später zog er sein Boot an Land und verbrannte es, ein unglaublich trauriger Tag. Meine Brüder lebten schon in Toronto, meine Mutter wollte gerne bei den Enkeln sein, und ich hatte einen Studienplatz in Ottawa. Also gingen wir im Juli 1975 zusammen fort, ließen vorher die Tiere frei, und mein Vater vernagelte das Eingangstor mit einer erschreckenden Vehemenz: es gab kein Zurück.“
Sie, die immer nur segeln wollte, studierte Wirtschaftswissenschaften: „Mein Vater hatte gesagt: es ist verrückt, Tag und Nacht zu fischen, die Fische haben keine Chance. Zita, du mußt herausfinden, wie Geld funktioniert.“ Was sie erfolgreich tat und Ende der 1990er in der Glasfaser-Industrie Karriere machte: „Das waren die intensivsten Jahre meines Lebens. Wir konnten die Technik nicht schnell genug weiter entwickeln, deshalb mußten wir andere Firmen kaufen, und so schaffte unsere kleine kanadische Firma den Sprung in die Nasdaq, die größte elektronische Börse der USA.“ Die Fischerstochter hatte ihre Mission erfüllt, stieg als Multimillionärin aus und ging fortan segeln.
Doch das Tauwerk, das sie mit Neufundland und Fogo im Speziellen verband, ließ sich nicht einfach kappen. 2001 lag sie im Hafen von Mustique in der Karibik vor Anker, als ein Nachbar aus Fogo anrief. Der Bürgermeister habe geschrieben, das Haus, das sie von einem Lieblingsonkel geerbt hatte, sei ein Schandfleck, da müsse etwas passieren. „Mein Onkel Art hatte einen angeborenen Herzfehler und ich als Kind ein Jahr mit Tuberkulose gekämpft “, erzählt sie, „vielleicht standen wir uns deshalb besonders nahe. Sein Haus war eine kleine Saltbox, wie wir die bauklotzförmigen Holzhäuser nennen.“ Zuerst reagierte sie genervt, doch dann fiel ihr im Hafen in Mustique ein historischer Schoner aus Neufundland ins Auge, der mit amerikanischen Mitteln restauriert worden war – „und ich dachte plötzlich: Warum hat keiner von uns Neufundländern dieses Schiff gerettet? Ich habe Zeit und Geld. Wenn ich mein Haus nicht renoviere, wird es niemand tun – und das war der eigentliche Beginn des Shorefast-Projekts.“
Zuerst nahm sie allerdings nur ein paar oberflächliche Verschönerungen vor, damit der Bürgermeister glücklich war, und segelte weiter. Doch 2006 war ihr klar, daß sie von Fogo nicht loskam. „Ich hatte mich immer an der Überzeugung des deutsch-britischen Ökonomen Ernst Friedrich Schumacher orientiert, daß das Individuelle, Lokale erhalten werden muß, um das Globale zu ermöglichen. Es ist das Bild des Blumenkohls: viele kleine Röschen und ein geneinsamer Strunk. Die Firma, bei der ich Karriere machte, wuchs eine Zeitlang unglaublich schnell, und die größte Herausforderung lag darin, einen Betrieb mit 40.000 Mitarbeitern in kleine Einheiten zu strukturieren. Genauso kann man zwar heute global vernetzt sein, doch wenn die Nase läuft, die Heizung nicht funktioniert und man sich einsam fühlt, dann braucht man echte Nachbarn.“
Sie zog zurück nach Fogo und begann sich nach der langen Abwesenheit wieder an die Menschen heranzutasten. „Wir kannten sie eigentlich gar nicht“, sagt Aubrey Payne, „als sie zurückkam wie die verlorene Tochter, mit dem vielen Geld, das war ziemlich einschüchternd.“
Schritt für Schritt begann man sich in vorerst kleineren Unternehmungen aneinander zu gewöhnen. Zuerst renovierte sie Onkel Arts Haus nun von Grund auf, dann folgten eine Reihe anderer Anwesen. Das setzte nicht nur ein Zeichen, sondern gab den betreffenden Gemeinden auch ein gemeinsames Vorhaben, an dem sie arbeiten und ihr überliefertes Wissen einbringen konnten. Von den hölzernen Booten war man zu Glasfaser übergegangen, und die alten handwerklichen Kenntnisse drohten in Vergessenheit zu geraten. Zita Cobb orderte ein Ruderboot beim besten Zimmermann und organisierte eine Regatta – „und jetzt, nach sieben Jahren, sind sie alle dabei!“
Aber vorerst herrrschte weiter Skepsis, mußte Zita Cobb ihren ganzen angeborenen Starrsinn einsetzen. Kultur und Kunst sind aus ihrer Sicht eine Form des Widerstands gegen Business und Geld („ich traue dem Geld nicht, habe ihm nie getraut“, sagt sie); sie wollte unbedingt Künstler nach Fogo bringen. Also mußten Ateliers gebaut werden. Sie überredete den Architekten Todd Saunders zur Zusammenarbeit, der in Norwegen lebte, dort einige spektakuläre Werke wie die Aussichtsplattform am Aurlandfjord geschaffen hatte – und aus Neufundland stammte. Das erste Atelier entstand weit draußen am Ufer, wohin sämtliches Baumaterial ausschließlich auf den Schultern und in Schubkarren transportiert werden mußte.
Dann: das Hotel, das Fogo Island Inn. Wie alle Saunders-Bauten wirkt es spektakulär, schwebt auf den Stages nachempfundenen Stelzen in der Landschaft und über dem Meer, ist ganz aus Holz erbaut und doch vollkommen modern. „Es ging darum, die Erkenntnisse der letzten 400 Jahre mit zeitgenössischen Mitteln auszudrücken: wie hätten unsere Vorfahren heute gebaut?“ beschreibt es Zita Cobb. Das Lokale ermögliche überhaupt erst die Orientierung im Globalen. „Wer sich lokal machtlos und entmündigt fühlt, der wird ängstlich und ärgerlich, und das ist ein perfekter Nährboden für radikale und destruktive Gedanken und Handlungen. Schumacher sagt: Natur und Kultur sind die Grundlagen der menschlichen Existenz, Business und Technologie nur ihre Werkzeuge. Ich will zeigen, daß und wie das funktionieren kann.“
„Mit der Genossenschaft hatten wir einen guten Anfang, aber dann ging es nicht richtig weiter“, erzählt Aubrey Payne. Die Einwohnerzahlen nahmen trotz des Fogo Process rapide ab. „Als Zita kam, war endlich wieder etwas los, wir fühlten uns wieder als eine Gemeinschaft. Sie hat ihre Ideen immer mit uns diskutiert, aber wir haben anfangs nicht sehr viele Fragen gestellt, wir dachten, das würden zwei oder drei Zimmer. In den öffentlichen Versammlungen herrschte sehr viel Skepsis, ob es dafür überhaupt eine Nachfrage gäbe. Zita hat nur gesagt: baut es, und ich kümmere mich darum, daß die Leute kommen. Sie betont auch immer wieder, daß das Inn uns gehört, der Gemeinschaft, und einmal im Jahr hat jeder von uns das Recht, dort wie ein ganz normaler zahlender Gast zu übernachten.“
Wie einst die Stages ist das Inn ein Gemeinschaftsunternehmen, mit 250 Mitarbeitern. Ginge es ausschließlich um Effizienz und Gewinn, würde man sofort einen Teil entlassen. Aber darum geht es eben gerade nicht. „Wenn jemand zur Tür hereinkommt“, so Aubrey Payne, „begrüßen wir ihn, als sei es unser Zuhause. Denn Gastfreundschaft hat auf Fogo Tradition.“ Er und seine Frau Maria sind seit Beginn der Stiftung sehr aktiv daran beteiligt. „Zita hat mich überredet“, sagt er, „ich war ziemlich beschäftigt mit der Genossenschaft, aber sie sagte, du mußt deinen Teil beitragen! Also willigte ich für drei Monate ein – das war vor sechs oder sieben Jahren, und ich bin immer noch dabei.“ „Dabei ist wichtig“, betont wiederum Zita Cobb, „daß der Tourismus nur ein Wirtschaftszweig unter anderen ist und das Verhältnis gewahrt wird – deshalb haben wir 29 Zimmer und nicht 300, und wir haben uns gegen die Verlängerung der Landebahn des kleinen Flughafens von Fogo entschieden. Die Beziehungen zwischen den Menschen, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zu den Dingen, das schafft Bedeutung, und das ist es, was Besucher hier spüren.“
Jeder im Haus fühlt sich als Gastgeber, stellt sich ohne einen Hauch auswendiggelernter Floskeln mit Namen vor – bei meinem Besuch Anfang September empfinde ich diese unaufdringliche Persönlichkeit als wahre Wohltat. Alles ist großzügig, aber nichts zu groß. An der Haustür (so muß man den Eingang tatsächlich nennen) erwartet mich Rex, begrüßt mich, nimmt mir ohne große Umstalten den Koffer ab, holt den Schlüssel am Empfangstresen und bringt mich aufs Zimmer. Das ist skandinavisch gemütlich (vielleicht sollten wir das neu benennen: nordländisch), mit modernem Design – aus Altem Neues machen. Eine weite Fensterfront aufs Meer, auf dem Bett ein großer (neuer) Quilt, auf Fogo entworfen und genäht, wie seit Jahrhunderten. Ob ich denn eher Tee oder Kaffee bevorzöge, fragt Rex, mit Milch, Zucker? Er ist kaum gegangen, klopft es an der Tür, und die lebhaft vergnügte Sonya drückt mir ein Tablett mit heißem Tee, Milch, einem warmen Hefebrötchen, kalter Butter und einem Kännchen dunklem Melassesirup in die Hand: „Hallo und Willkommen“, sagt sie mit kehlig rauher Stimme. Ich lasse den Koffer Koffer sein, mache es mir mit diesen duftenden Gaben im Schaukelstuhl bequem und gebe mich dem Meer hin. Höre den Wellen und den kreischenden Möwen zu, fliege mit ihnen zurück durch die letzten Tage und all die Orte und Menschen, die ich auf dem Felsen bis jetzt kennengelernt habe…
Maurice Fitzgerald, der mir als Profi-Fotograf und Location Scout in St John’s gezeigt hat, wie man Felsen und Wasser fotografiert. Peggy und John Fisher, in deren wunderschönem Loft und Inn in Port Rexton ich gerne noch viel länger geblieben wäre, um den Skerwink Trail entlang zu wandern und die von ihnen initiierte Biennale in Bonavista und Bonaventure zu erkunden. Alexandra Blangdon, 24 Jahre junge Köchin, Foodscout und furchtloser Freigeist, die mich nicht nur in die Welt der wilden Pilze, Beeren und Kräuter einführte (das wunderbare Aroma der Erlen!) und mir auf offenem Feuer ein großartiges Essen kochte, sondern auch einen wichtigen Denkanstoß mitgab: „Es ist eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, daß ich wilde Beeren, die ich nur zu sammeln brauche, zu Höchstpreisen verkaufen kann, während ein Bauer, der seine Pflanzen und Tiere hegt und pflegt, kaum angemessen bezahlt wird.“ Marieke Gow vom Artisan Inn in der großartigen neuen alten Welt von Trinity Bay, deren Ferienhäuser mich wie so vieles andere wünschen ließen, Neufundland läge ein kleines bißchen näher an Berlin. Scott Cowan, der an meinem ersten Abend auf dem Felsen im Mallard Cottage eine brillante Parade kanadischer Weine auffuhr. Und schließlich die wunderbare, warme Rocket Bakery in St John’s, die dank Rod Walsh zu meinem Frühstückscafé wurde und mir mit der Kitchen Party Band und ihrer Musik klarmachte, wie nah der Felsen an Irland liegt…
„So machen wir das hier“, lächelt Küchenchef Jonathan Gushue, als ich ihm kurze Zeit später sage, wie sehr mich der unverhoffte Willkommensgruß gefreut hat. Auch er ist gebürtiger Neufundländer, der nach erfolgreichen Jahren in Japan, Großbritannien und Kanada nun auf Fogo seine Wurzeln neu ergründet. Wir sitzen in der Lobby, die einem großen Wohnzimmer gleicht, mit Kamin, Sofas, Büchern – und natürlich dem Meer. „Morgen nimmt Dich Aubrey unter seine Fittiche, und dann gehst Du Beeren sammeln mit unserer Sarah, Pastry-Chefin – aber jetzt mußt du erst mal Mittag essen.“ Und schon sitze ich in dem offen angrenzenden, hohen, lichterfüllten Raum, der förmlich über dem Wasser zu schweben scheint und trotzdem gemütlich ist. Nicht zuletzt, weil mich hier Tracy ebenso herzlich wie unaufdringlich begrüßt, als säße ich bei ihr am Küchentisch. Ja, natürlich sei ein Glas Sekt jetzt genau das Richtige, nickt sie, und die marinierten Jakobsmuscheln dazu, mit Zucchini und Kräutern und einer Krem aus gerösteten Schalotten, und selbstverständlich könne ich den Steinbutt als kleine Portion bekommen. Der Brut von Benjamin Bridge aus Nova Scotia schmeckt wie die auf dem Wasser glitzernde Sonne, die Jakobsmuscheln sind ein reines Vergnügen, beim Steinbutt (confit, glasig, mineralisch, mit süßen Shrimps, brauner Butter und Fenchelsalat) würde ich am liebsten laut juchzen vor Wonne. Als die junge, ein wenig schüchterne Rebecca mit den Dessertwagen kommt, lasse ich mich nur allzu gerne zu einer Mini-Pavlova mit Zitronenkrem und herbem Partridgeberry-Kompott überreden. Alles auf dem Teller ist auf eine pragmatische, nahezu störrische Art gut und auf eine Weise von dem geprägt, was hier wächst und lebt, wie es noch vor wenigen Jahren kaum denkbar schien.
Das Alte mit dem Neuen verbinden – Jonathan Gushue gelingt das auf vortreffliche Weise, und er steht damit in Neufundland nicht allein. „Ich bin so stolz auf uns“, sagt sein Kollege Jeremy Charles von Raymond’s in St. John, „daß wir es geschafft haben, das Ruder rumzureißen!“ Der vollbärtige 42-Jährige, in brauen Cordhosen und kariertem Hemd, gehört zu einem der wichtigsten Protagonisten dieser Bewegung. Wer seine vielfach und zu Recht ausgezeichnete, auf einem komplexen Netzwerk lokaler Zulieferer basierenden Küche erlebt, der kann sich wirklich kaum vorstellen, daß Krebse und Krabben, Thunfisch, Lachs und Steinbutt, Austern, Muscheln und See-Igel, aber auch Rentier und Rebhuhn hier vor zwanzig Jahren quasi nicht zu haben waren, Hummer geringschätzig als Köder eingesetzt wurde, Pilze generell als giftig galten und nur wenige die vielen wilden Beeren und Kräuter nutzten. Die Umsiedlung hatte eine Entfremdung eingeleitet, die durch das Moratorium, in dessen Folge eine ganze Generation die Insel und ihre wirtschaftliche Aussichtslosigkeit verließ und nicht zurückkehrte, zu ihrem Höhepunkt gelangte. Sein kürzlich erschienenes Buch Wildness, sagt Jeremy Charles, mit Rezepten, aber auch den Gesichtern und Geschichten seiner Lieferanten, sei eine kulinarische Liebeserklärung an seine Heimat. Es dokumentiert den Neu-Anfang: „Die Baymen haben hier schon immer Farm to Table und Nose To Tail gelebt, haben mit den Jahreszeiten gesammelt und gejagt, aber wir haben uns lange Zeit beinahe geschämt dafür. Wir brauchten erst das Vorbild der Skandinavier, von René Redzepi und all den anderen, um wieder umdenken zu können.“
Die getrockneten, frittierten Kabeljauschwimmblasen mit Kabeljaumousse und fermentierten Beeren im Raymond’s verkörpern dieses Umdenken ebenso wie ein Salat aus Endivien, Fenchelgrün, konfiertem Kabeljau, schwarzen Johannisbeeren und Multbeeren-Aioli in dem urigen alten Bau des Mallard Cottage in Quidi Vidi, einem Fischerdorf zehn Autominuten von St John’s, wo Todd Perrin seinen (ebenso köstlichen) Teil zur neuen Kulinarik Neufundlands beiträgt. Ganz entscheidend dabei, neben Fisch und Fischen, Rentier und Elch, Pilzen und Robbenfleisch: Beeren. Die Liste ist nahezu endlos: Blueberries, Blaubeeren, weit verbreitet, haben mit Kulturheidelbeeren nichts zu tun. Crowberries oder blackberries, die schwarze Krähbeere, voller Vitamin C. Bunchberries: Hartriegel, Pektinlieferant.Dewberries, wilde Himbeeren, lecker! Lingonberries oder partridgeberries (weil die Rebhühner sie gerne mögen), Preiselbeeren, herb und großartig, besonders nach dem ersten Frost. Cloudberries oder bakeapples, Multbeeren, selten und einzigartig, mit einem leicht bitteren Touch. Außerdem: wilde Erdbeeren, auch in weiß, Johannisbeeren, und natürlich Snowberries! Noch seltener als Multbeeren, da es stets nur einzelne Beeren sind, die wie weiße Tictac aussehen und nach Minz-Bubblegum schmecken. Und die Kräuter…
„Als ich das erste Mal zu Jeremy ins Raymond’s essen ging“, schreibt Zita Cobb im Vorwort zu Wildness, „hatten wir bereits mit dem Inn begonnen, und ich war auf optimistische Weise skeptisch. Doch seine Küche erwies sich als richtungsweisend, als Bestätigung für unser eigenes Vorhaben, wir waren nicht die einzigen, die an das wahre Potenzial dieses Felsens glaubten. Unsere größte Hürde [als Neufundländer] ist oftmals unser Mangel an Selbstvertrauen, und Jeremy hat uns geholfen, besser zu erkennen, was wir haben, was wir wissen, und was uns fehlt.“
Ab Ende der 1960er fuhr die Fähre jeden Tag statt nur einmal wöchentlich, erklärt sie, und das habe auch die Eßgewohnheiten verändert: „Wir verloren die Orientierung. Beim Essen geht es um die Beziehungen untereinander. Denn die große Frage lautet selbstverständlich, wie ernähren wie die Millarden, aber die ebenso wichtige kleine: Was gibt es heute zum Abendessen? Wir haben hier auf Fogo so ein Glück, weil wir zu einem großen Teil tatsächlich wissen, wo das herkommt, was wir essen.“
Aubrey Payne war lange Zeit im Vorstand der Fischereigenossenschaft tätig, hat die Umstellung auf andere Arten wie Eismeerkrabben, Heilbutt, Hering, Seeigel, Wellhornschnecken, Hummer oder Messerscheidemuscheln mitbegleitet. Hauptgeschäft sind heute Krabben und Seegurken, doch wie die menschlichen Bevölkerungszahlen auf Fogo erholen sich auch die Kabeljaubestände etwas. Mithilfe der Stiftung experimentiert die Genossenschaft seit einigen Jahren mit sogenannten cod pots, neuen Netzreusen, in denen die Fische im Gegensatz zu den üblichen Kiemennetzen am Leben bleiben, sofort beim Schlachten ausbluten und somit eine ganz andere Qualität auf dem Teller ermöglichen. „Die Erträge sind geringer, aber das Ganze ist wesentlicher schonender, und das ist wichtig.“
Zita Cobb betont, das Fogo Island Inn sei nicht wie Raymond’s: „Wir richten uns nicht an Foodies, es soll gutes, aber einfaches Essen sein hier bei uns. Die Kulinarik der Insel lebt in den Küchen ihrer Bewohner!“ Um die Verbindung in die Küche des Inns herzustellen, hat sie mit Jonathan Gushue den Food Circle ins Leben gerufen. Die erste der öffentlichen Veranstaltungen im September 2018 war eine von Mitchell Davis von der James-Beard-Stiftung moderierte Diskussionsrunde, um das Bewußtsein für die zentrale Bedeutung des Thema Essens zu schärfen. Bei der dritten Auflage ein Jahr später hat jeder von Gushues Team mit jemandem von der Insel ein traditionelles Gericht in dessen Küche gekocht. An einem Sonntagnachmittag präsentieren die elf jungen Köche zusammen mit elf alteingesessenen Fogo Islandern ein Büffet an Insel-Klassikern. Es gibt gebratene Makrelen und Fischsuppe, gedünstete Brennesseln mit Grieben, Fishcakes, Baked Beans und Hammelsuppe. Und selbstverständlich Süßes wie Käsekuchen, Jam Tart, Bangbelly-Brotauflauf und Snowballs, denn Neufundländer lieben Süßes. Die Melasse, die die Händler im Tausch gegen den billigsten Klippfisch zusammen mit Rum aus Jamaica zurückbrachten, hat sich ebenso in die kulinarische DNA eingeprägt wie die für den Winter zu Marmelade eingekochten Beeren.
Erinnerungen werden wach, Rezepte und Erfahrungen werden ausgetauscht, nicht nur aus der Küche, denn viele haben heute wieder einen Gemüsegarten hinterm Haus, versorgen die Küche des Inn und lagern in root cellars, Vorratskellern, Wintervorräte ein. Neue Ideen entstehen: „Snowballs, aus Haferflocken, Kakao, Kondensmilch und Butter, die gab es früher immer zum Geburtstag und zu Weihnachten – warum machen wir das nicht im Inn?“ Anderes steht dort bereits auf der Karte; zum Frühstück bringt mir Tracy Toutons, in der Pfanne gebackene weiche Brotfladen, mit Butter – und natürlich Melasse.
Aubrey Payne erzählt mir auf unser gemeinsamen Tour über die Insel, daß seine Großeltern noch Beeren, Pilze und Kräuter gesammelt hätten: „Dieser niedrige Wacholder hier, mit solchen Zweigen hat meine Großmutter Brathähnchen und Fasan abgedeckt, das gibt ein wunderbares Aroma. Oder die Austernpflanze, die passt gut zu Muscheln. Und natürlich haben wir Gänse gejagt, aber das war alles so nebenbei.“ Seit zwei Jahren agieren er und seine Frau Maria als Gastgeber im Shed, dem kleinen Extragebäude neben dem Inn, wo rund zwanzig Gäste an dem langen Tisch Platz haben. „Für uns war das alles neu, und ich habe Zita gefragt, was sie von uns erwartet. Sie sagte nur: Tu einfach das, was du auch zuhause tun würdest. Und da habe ich an meine Großmutter gedacht, wie sie am Küchentisch Geschichten erzählte. Wir waren acht Brüder und sechs Schwestern, und es war immer eine große Runde. Zita sagte, ja, genau. Diese Abende, das ist jetzt beinahe wie früher, wie zuhause… Ohne das Inn könnte ich die Tradition meiner Großmutter nicht forführen. Wie sie schenke ich zum Schluß jedem einen Stein und erkläre, daß ein Wunsch in Erfüllung geht, wenn man ihn ins Meer wirft – aber, sage ich dann wie sie, wünscht Euch kein Geld, das ist nichts wert.“
Auch Zita Cobb betont: „Bis heute gehört mir nichts auf Fogo außer Onkel Arts Haus, ich bin ohne Geld auf dieser Insel geboren worden, und ich werde sie ohne Geld verlassen.“ „Doch Zita hat das Leben zurückgebracht“, sagt Aubrey Payne. Und sie hat immer neue Ideen und Pläne. „Eine kleine Konservenfabrik für Dorschleber “, schwebt ihr vor, die „Foie Gras des Meeres“, die die Fischer gerne direkt auf den Bootsmotoren braten. Ohne Fisch geht eben nichts auf dem Felsen. Bleibt nur herauszufinden, was unser Fisch, unser Felsen sind…