Vorberg-Weißburgunder aus Terlan – eine Zeitreise auf Sylt zwischen Bergen und Meer.

Burgundergläser der großen Art, viele davon, einige bereits mit wenig gelb leuchtendem Wein gefüllt. Ich bin zu spät, um den großen Tisch sind alle startbereit. Etwas atemlos setze ich mich – eben noch im Zug von Berlin, jetzt hier bei einer Spitzenadresse der Sylter Gastronomie mit Reetdach, Kamin und Jaguar. Etwas nervös widme ich dem ersten Wein, schwenke vorsichtig, versuche mich zu konzentrieren. Atme tief ein, aus, nochmals ein… und spüre, wie ich plötzlich ruhig werde. Keine fordernden jungen Fruchtaromen, keine modisch-reduktive Sponti-Note, kein aufdringliches teures Holz. Sondern: einfach Wein, zeitlos und sich selbst genügend.

Zuerst mehr Bohner- als Bienenwachs, vergessene Banane und frisch aus der waldigen Erde gedrehte Pilze. Kein streichelnder Schmeichler, sondern ein intelligentes Gegenüber. Schlank und trotz einem rundenden Alkoholmantel drahtig, mit einem festen Säurekern, der ihn ganz offensichtlich schon lange getragen hat und weiter tragen wird. Bei der nächsten Nase sind aus dem Wachs Walnußschalen und -kerne geworden, strahlen ruhig Licht und Wärme… Ich lehne mich im Ledersessel zurück und schaue endlich in die Verkostungsliste: 1955. Allmächtiger Bacchus.

Terlaner Tasting

Reisen, Verkostungen, Präsentationen – ich liebe dieses Leben, aber manchmal haben Seele, Bodenhaftung und Ichgefühl es schwer mit dem Schritthalten. Doch dann begegnen mir solche Weine, und alles fällt an seinen Platz. Mir war durchaus bewußt, daß die Weißburgunder aus der Lage Vorberg der Südtiroler Kellerei Terlan das Zeug zu wahrer Größe haben, sonst hätte ich mich nicht auf den relativ weiten Weg gemacht. Aber das hier übertrifft meine Erwartungen um Längen. „Große Terroirs korrigieren menschliche Fehler“, sagt Klaus Gasser, Verkaufsleiter der 110 Mitglieder und 160 Hektar großen Genossenschaft und ein glühender Verfechter gereifter Weine.

Ich lege die schwachen Momente meines Verkostens also demütig dem vulkanischen roten Porphyr-Ursprung dieser Berggewächse zu Füßen und widme mich den nächsten Gläsern. Auf den schlanken 1955 folgt der ebenso geradlinige, aber von einem wesentlich wärmeren Jahrgang geprägte 1966, ein breiter Fluß feinster Dillgurken. Dann – nein, kein lauter Paukenschlag, sondern ein zurückhaltender, doch anhaltender leiser Paukenwirbel: 1979 treibt die Zeitlosigkeit auf die Spitze, umwirbt mich mit rieslingartiger Eleganz und Finesse. Er bringt den Ora, den warmen Nachmittagswind vom Gardasee in Form von getrockneten Aprikosen ins Spiel und die von den Berghängen fallende nächtliche Kälte mit dieser unglaublichen, reifen, festen Säure…

KrabbenSitze ich noch bei Johannes King im Söl’ring-Hof, mit dem Nordseestrand direkt vor dem Fenster, oder eigentlich doch inmitten der Dolomiten in Südtirol? Die Stimmen am Tisch gehören norddeutschen Gastronomen und Weinhändlern, und sie schwirren. Es folgten 1984, 1996, 2002, und als sei dies alles nicht Weingeschichte genug für einen Abend (auch das gehört zu den Herausforderungen des schreibenden Verkosterlebens: immer zu kurz, immer zuviel, selbst bei zeitlosen Weinen im Glas kein Verweilen in der Zeit), läßt Klaus Gasser dann aus seinem Privatkeller die 2012 Le Montrachet von Etienne Sauzet und Louis Jadot neben der Terlaner Grande Cuvée desselben Jahrgangs servieren.

Terlaner Montrachet Trio

Zum Weißburgunder aus extremen Lagen auf über 600 Meter gesellen sich hier traditionell etwas Chardonnay (der bis 1984 im Südtirol als gelber Weißburgunder an- und ausgebaut wurde) sowie ein Hauch von Sauvignon Blanc. Die Weine aus dem Burgund sind faszinierend, jeder für sich hätte einen ganzen Abend verdient. Der Terlaner steht ruhig und selbstbewußt zwischen ihnen und erzählt mit viel leiserer Stimme eine mindestens ebenso spannende Geschichte.

Sylter StrandsalatDie Pause nach der Verkostung gehört (nach einem Schluck Champagner, zugegeben) dem „einfachen“ Vorberg-Weißburgunder, und er füllt sie trotz all der illustren, anspruchsvollen Vorgänger auf unseren Zungen mit lässiger Bravour; bereitet gewissermaßen das Terrain für den nächsten Paukenwirbel. Denn als die große Tafel uns neu hergerichtet zum Essen empfängt, läßt Johannes King als erstes etwas auftragen, das er bescheiden „Sylter Strandsalat“ nennt: „Alles, was das Meer uns so schenkt; eine Brandade von Mies- und Schwertmuscheln, pochierte Austern, Wattschnecken, Herzmuscheln, Schwertmuscheln“, pflanzlich akzentuiert von Bronzefenchel, Apfel, Meerrettich und Dillöl.

Terlaner Grande Cuvée FrontIm Glas steht jetzt der 2012 Vorberg Weißburgunder Riserva aus der Magnumflasche – und wieder scheinen das Meer des Nordens und die Berge des Südens zu einer einzigen Landschaft zu verschmelzen, greift die strahlendfrische und doch reife Säure des Weins die jodige Kühle auf, die hier auf der Insel in der Luft hängt und sich vor uns auf dem Teller darbietet.

Estragon und QuarkAm nächsten Tag in der grauen Morgenluft eine Joggingrunde, kurz darauf wieder die Bahn, und ein Anflug von Unwirklichkeit. Doch dann blättere ich durch meine Notizen, wische über den Bildschirm meines Telefons durch die Bilder der Flaschen und Teller – und freue mich an der stillen, zeitlosen Selbstsicherheit der Berge am Meer.

PS Nicht unbedingt berg-relevant, aber so gut und heinzelcheese-affin, daß es hier unbedingt seinen Platz finden muß, war das Dessert, das Johannes King an diesem Abend auftischte: „Estragon, weiße Schokolade und Quark“ – cheesio!

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